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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Wochenende zum Bruder meines Mannes, sagte Frau Kaiser, und da wollten wir Sie bitten, ob Sie an diesem Wochenende unsere Katzen füttern würden; es ist ganz einfach, und wir wären Ihnen sehr dankbar, sagte sie. Ja, ja, das kann ich schon tun, sagte Abschaffel schnell. Wir werden am Samstagnachmittag wegfahren und am Sonntagabend zurückkommen, sagte sie; Sie müßten also nur einmal am Sonntagmorgen herunterkommen und dann noch einmal am Sonntagabend, so am Spätnachmittag, sagte Frau Kaiser. Das wäre sehr nett von Ihnen.
    Abschaffel war ins Schweigen gekommen. Er hatte das Gefühl, es sei das Beste, mit anderen Menschen nichts zu tun zu haben und niemals angesprochen zu werden. Er saß Frau Kaiser gegenüber und spielte mit den Fingern an dem Plastikstoff. Abschaffel konnte mit Tieren nichts anfangen, sie waren ihm gleichgültig, der ganze Auftrag war ihm gleichgültig, und Frau Kaiser war ihm auch gleichgültig. Sie spürte, wie gelangweilt er war, und sie verstärkte ihre Nettigkeit. Ich werfe Ihnen dann unseren Schlüssel einfach in Ihren Briefkasten am Samstag, nicht, sagte Frau Kaiser, und Abschaffel nickte. Die Aussicht, mit dem Wohnungsschlüsselbund von Frau Kaiser umgehen zu müssen, machte ihn wieder etwas aufmerksamer. Schon oft hatte er Frau Kaiser gesehen, wie sie mit diesem Schlüsselbund zum Briefkasten ging oder ihn in einer Tasche verwahrte. Es war ein echter Katzenschwanz an ihm angebracht, ein schwarzer Katzenschwanz von etwa zwanzig Zentimeter Länge. Abschaffel hatte diesen Katzenschwanz auch schon öfter am Außenschloß der Wohnungstür von Frau Kaiser hängen sehen, und jedesmal hatte es ihn geekelt. Wie froh war er gewesen, an diesem toten Teiltier immer wieder vorbeigehen zu können. Und wie war es möglich, und wie war es zu erklären, daß er diesen einen Gegenstand, dessen bloßer Anblick ihn anwiderte, daß er nichts anderes, sondern ausgerechnet diesen für ihn ekelhaften Gegenstand am Wochenende würde mehrfach in die eigenen Hände nehmen müssen? Abschaffel wurde mutlos. Er spürte, daß Frau Kaiser es schon bereute, ihn um die Katzenfütterung gebeten zu haben. Sie ging mit ihm in die Küche und erklärte, aus welcher Dose er die Katzennahrung nehmen sollte und wieviel davon. Er verkürzte ihr Reden, indem er in ihre Erklärungen hinein aufräumende und erledigende Sätze sagte, und er spürte, wie Frau Kaiser sich unsicher zu fühlen begann, weil sie den Eindruck hatte, es nicht richtig und ausführlich genug geklärt zu haben. Abschaffel bewegte sich mit kleinen Schritten rückwärts aus der Küche, und Frau Kaiser blickte mehrfach ganz schnell vom linken Außenrand seines Körpers hinüber zum rechten und wieder zurück. Sie vollzog Abschaffels kleine Schritte mit, und noch immer redend, waren sie an der Wohnungstür angelangt. Und wirklich hatte Abschaffel das Gefühl, nichts verstanden zu haben, und deswegen auch Angst, er werde die Katzen nicht richtig füttern können.
    In seiner Wohnung legte er das Wäschepaket auf den Tisch und riß sofort die Kunststoffverpackung herunter. Er setzte sich auf einen Stuhl und starrte auf seine Wäsche. Seine Unterhosen, seine Unterhemden, seine Strümpfe! Alles ganz frisch und schön übereinandergelegt! Er drehte seine Strümpfe um und um, faltete die Unterhemden auseinander und wieder zusammen, und er faßte die Unterhosen an und hob sie hoch und zog sie an ihren Gummibändern auseinander. Und gerade, als er anfangen wollte, sich darüber zu freuen, daß er nun für wenigstens zwei Wochen frische Wäsche hatte und er notfalls immer baden und sich umziehen konnte, wenn er sich schlecht fühlte, in diesem Augenblick entfernte sich die Freude von ihm, und er verstand nicht mehr, warum ein Mensch sich derart freute, bloß weil er seine Unterwäsche wiederhatte. Weil er sich aber einige Augenblicke zuvor wirklich gefreut hatte und jetzt schon wieder alles verschwunden war, glaubte er, eine Art Alltagsirrsinn sei über ihn gekommen, ein mildes Verrücktsein, in dem er sich nicht mehr zurechtfand. Er war es überdrüssig geworden, sich auf etwas Neues einzulassen, ging hinüber ins Zimmer und legte sich auf das Bett. Draußen war es dunkel geworden, und Abschaffel schaltete eine kleine Lampe ein, weil er das Gefühl vermeiden wollte, mit dem langsamen Dunklerwerden des Abends selbst zu verschwinden. Er war müde, ohne einschlafen zu können, und er hatte begonnen, der Lampe zuzusehen, wie sie Licht gab und das Zimmer damit ausfüllte. Er

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