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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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und gar nichts anderes mehr zuwege brächte als den Kopf zur Seite zu drehen. Weil ihm dieser Einfall guttat, probierte er es gleich noch einmal. Wieder drehte er den Kopf ganz langsam in Richtung Balkontür, und er wollte sich gerade vorstellen, wie er in die Gesichter von irgendwelchen Verwandten blickte, die an seinem Bett saßen, da knackte es in seinem Genick. Es war ein leises Knirschen im Halswirbel, ganz sicher vollkommen harmlos, das Abschaffel jedoch unverhältnismäßig erschreckte und ihn zur Aufgabe des Spiels veranlaßte. War er vielleicht schon alt? Und sofort stellte er sich vor, er sei ein ganz junger Mensch, der einen insgesamt harmlosen, die Umwelt aber gefährlich beeindruckenden Autounfall erlitten hätte und deshalb in einem Krankenhaus lag; er stellte sich ein Krankenzimmer vor voll mit Angehörigen, die bedenklich zu ihm hinsahen, und eben da würde er den Kopf äußerst munter und flink zur Seite drehen, so daß jeder Betrachter aufatmete über die intakte Körperlichkeit dieses Verletzten. Tatsächlich drehte Abschaffel nun rasch und mechanisch den Kopf mehrfach in Richtung Balkontür und wieder zurück, und wirklich knackte es nicht mehr in seinem Genick.
    Abschaffel erwachte aus seinen Spielen erst, als er fand, seine Langeweile sei mit ihm zuweit gegangen, obwohl er sofort bereit war, ein neues Spiel daraus zu machen, herauszufinden, wie weit eine Langeweile mit einer Person gehen konnte und was aus der Langeweile wurde, wenn sie keine Langeweile mehr war. Er erhob sich vom Bett und dachte endlich einmal nichts. Abschaffel ordnete sich die Kleider halbwegs, schritt durch das Zimmer und öffnete die Balkontür. Auf seinem Balkon stehend, fiel ihm ein kleines, erleuchtetes Fenster am gegenüberliegenden Haus auf. Es war verschlossen, und das Licht im Fenster war gleichmäßig verteilt hinter einem orangefarbenen Vorhang. Sicher ist eine größere Zutraulichkeit hinter dem Vorhang im Gange, dachte Abschaffel. Das erleuchtete Fenster lag weit unterhalb seines Balkons. Er sah abwechselnd zurück in sein Zimmer und hinunter auf das erleuchtete Fenster. Und er wurde, während sein Blick etwas länger auf dem orangefarbenen Vorhang haftenblieb, von einem solchen Verlangen gepackt, daß er glaubte, der Rückweg in sein Zimmer sei ihm versperrt. Diese Zimmer! Diese Zimmer! dachte Abschaffel und verließ kurz darauf doch wieder den Balkon.
    Am Sonntagmorgen, als er aufwachte, spürte er eine einfältige Beeinträchtigung seines Körpers, eine ärgerliche Reizung der Organe. Eine Grippe hatte sich über Nacht in ihm breitgemacht. Er fühlte sich schwer und matt, schon kurz nach dem Aufwachen war er dazu übergegangen, Bewegungen nur noch halb auszuführen. Abschaffel begann die lächerliche Krankheit in sich zu beobachten. Gegen Kopfschmerzen hatte er bald zwei Tabletten geschluckt, und tatsächlich waren die Kopfschmerzen verschwunden. In der Küche, später, nieste er mehrere Male. Immer wieder betrachtete er im Spiegel seine Nase und die leicht gerötete Haut um die Nasenflügel.
    Zwischendurch dachte er daran, daß er in die Wohnung von Frau Kaiser mußte, um die Katzen zu füttern. Er überlegte, ob er es vor oder nach dem Frühstück tun sollte, und er beschloß, es vorher zu tun, weil das Frühstück dadurch etwas wertvoller wurde. Er wusch sich unaufmerksam, kratzte sich fast am ganzen Körper, sah sich vor dem Spiegel lange in den weit geöffneten Mund. Die hintere Rachengegend war entzündet, und sein roter Schlund gefiel ihm nicht.
    Vorsichtig öffnete er einen Stock tiefer die Wohnungstür von Frau Kaiser. Die beiden Katzen strichen gleich unangenehm um ihn herum, offenbar hatten sie schon lange Hunger. Mit einem Gefühl der Überwindung öffnete Abschaffel, wie er es schon gestern getan hatte, den Eisschrank in der Küche und holte aus einem oberen Fach eine geöffnete Dose Katzennahrung heraus. Auf zwei Porzellanschalen gab er je zwei Löffel davon auf den Boden, und schon standen die Katzen mit den Köpfen über den Eßschalen und beachteten Abschaffel nicht mehr. Damit war sein Auftrag erfüllt, und er konnte gehen. Aber er hatte bemerkt, welche Lust es ihm machte, unbeobachtet und allein in einer fremden Wohnung zu sein und alles ansehen zu können. Er ging aus der Küche hinaus auf den Flur, und als er niesen mußte, erschrak er, weil er das Gefühl hatte, ertappt worden zu sein. Er fand es sonderbar, daß Frau Kaiser die Türen zu allen Zimmern weit offengelassen hatte. Er hatte

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