Abschaffel
damit gerechnet, alle Türen verschlossen vorzufinden. Aber vielleicht kannte auch Frau Kaiser die Lust, allein in fremden Wohnungen zu sein, und sie hatte es ihm leichtmachen wollen, indem sie die Türen gleich geöffnet hatte. Es gab ein Wohnzimmer, ein Eßzimmer und ein Schlafzimmer, ein Bad und, davon getrennt, eine Toilette. Er betrat das Schlafzimmer mit demselben Gefühl, mit dem man als erster ein leeres Kino betritt. Vorsichtig bewegte er den Kopf, um all die ruhenden Gegenstände zu betrachten. Es war kalt in diesem Schlafzimmer, so kalt wie in allen bürgerlichen Schlafzimmern. Abschaffel ging in dem toten Raum umher und überlegte sich, warum es ausgerechnet in den Schlafzimmern so kalt war. Es war ein Raum, in dem mit Wärme gespart werden konnte. Rechts Wandschränke, die bis an die Decke reichten, auf der anderen Seite die beiden nebeneinandergestellten Ehebetten; auf einem Bett lag ein ausgebreitetes Kleid, das von der vorderen Bettkante herunterhing. Es mußte das Bett von Frau Kaiser sein. Auf dem Nachtschränkchen neben dem anderen Bett stand ein Reisewecker, das mußte das Bett von Herrn Kaiser sein. Abschaffel stellte sich gerade vor, wie Herr Kaiser während des Beischlafs einmal kurz auf die Uhr auf seinem Nachtschränkchen sah. Er war erstaunt, daß er den Anblick des Schlafzimmers so gut ertrug. Abschaffel ging hinüber in das Wohnzimmer, das lebendiger eingerichtet war. In einer Ecke war ein bequemer Liegestuhl aufgebaut, daneben ein Tisch mit Aschenbecher, Streichhölzern und Zeitungen, darüber eine Stehlampe. Das war, glaubte Abschaffel, die Resignationsecke, in die sich Herr Kaiser wahrscheinlich zurückzog, wenn er mit allem nichts mehr zu tun haben wollte. Abschaffel fand es auffallend, daß es nur eine Resignationsecke gab, die nach allen äußeren Zeichen für den Mann bestimmt war. Wo resignierte Frau Kaiser? Wieder blickte er sich suchend im Zimmer um, und er sah eine Couch, an deren Fußende eine Wolldecke lag, und Abschaffel vermutete, die Couch sei für Frau Kaiser bestimmt. Der Mann resigniert sitzend, die Frau liegend. Wahrscheinlich schlief Frau Kaiser abends ein, wenn sie auf der Couch lag, und Herr Kaiser sah ihr beim Schlafen zu und wußte nichts mehr; später wechselten sie beide hinüber in die Betten des kalten Zimmers und sagten sich, wie kalt es hier sei, und spielten ein bißchen Zittern und Frieren, und weil es gemeinsam geschah, galt es als Zärtlichkeit.
Abschaffel seufzte so laut auf, daß er es selbst hörte. Er hatte nicht rechtzeitig bemerkt, daß ihn der Anblick der beiden Zimmer tieftraurig gemacht hatte. Das kleinere Eßzimmer wollte er nicht mehr betrachten. Rasch ging er nach oben in seine Wohnung und hatte das Gefühl, etwas Unerlaubtes gedacht zu haben. Er bemühte sich, irgend etwas zu tun, aber der Sonntag war zu still. Wieder stand er vor dem Spiegel. Die Grippe hatte sein Aussehen rasch verändert; er sah sich in einen miserablen Zustand versetzt. Die Grippe hatte mehrfache Ausbrüche kalten Schweißes mit sich gebracht; anfangs hatte er noch die Absicht gehabt, sich den Schweiß zu entfernen. Er hatte sich mehrfach abgewaschen und getrocknet, aber dann war Abschaffel ärgerlich geworden, weil er die Wechsel zwischen Schweißausbrüchen und Abwaschen und Trocknen nicht mehr abwarten und einhalten wollte. So ließ er den Schweiß unabgewaschen und ertrug, daß sein Hemd zur Windel wurde, an einigen Stellen schon klebrig und formlos.
Abschaffel mußte sich beschäftigen, und er dachte darüber nach, wie er sich in eine besondere Beziehung zu dieser Krankheit setzen konnte. Aus Gewohnheit rauchte er, und es hatte ihn bereits mehrfach an diesem Tag geärgert, daß er hatte einsehen müssen, wie wenig Genuß ein vergrippter Kopf am Rauchen empfand. Er setzte sich in sein Zimmer und zündete sich dennoch eine neue Zigarette an. Gleich wollte er wieder zu dem Ergebnis kommen, das Rauchen in diesem Zustand sei sinnlos; aber da bemerkte er, wie seine entzündeten Nasenflügel auf eigenartige Weise zusätzlich gereizt wurden, wenn der Zigarettenrauch an ihnen vorbeizog. Dieser Reiz gefiel ihm, schon weil er dadurch Gelegenheit hatte, die Auswirkungen der Grippe, in diesem Fall die entzündete Haut, zu verhöhnen. Und er ging dazu über, den Rauch nicht mehr lediglich aus dem Mund herauszustoßen, sondern ihn vorsichtig und gezielt nach oben abzulassen, damit jeder Zug an den Nasenflügeln vorübergleiten mußte.
So rauchte Abschaffel, ohne sich dabei etwas
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