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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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leicht. Es war ein milder, weich herabtastender Sommerregen. Im Augenblick empfand Abschaffel seine Verlassenheit noch als angenehm; aber er wußte, daß ihn Margots Verschwinden heute noch treffen würde. Es fiel ihm, als Erleichterung, sogar ein, daß sein Urlaubsproblem nun endgültig geklärt war. Es gab niemanden mehr, der ihn fragen konnte, auf welche Weise und wo er den Sommer zu sich nahm. Und es machte ihm Spaß, im stillen über alle zu höhnen, die mit neu gekauften Klappstühlen, Bademänteln oder Freizeithosen umherliefen. Aus Langeweile kaufte er sich ein paar schwarze Sandalen. Die Schuhgeschäfte hatten große Verkaufsständer mit Sandalen vor ihren Türen aufgestellt. An einem der Ständer griff er sich eine schwarze Sandale, drehte sie um und sah auf die Schuhgröße und ging in den Laden und ließ sich das linke Gegenstück dazu geben. Er mochte Sandalen nicht, weil er seine Zehen nicht gut fand, wenn sie vorne aus Sandalen herausschauten. Er ließ sich die Sandalen in einen Karton einpacken, und er ließ sich von der Verkäuferin sogar ein paar weiße Socken aufreden. Die Verkäuferin packte die Socken mit in den Karton, er zahlte und ging.
    In einer Plastiktüte trug er die Sandalen herum. Es regnete noch immer leicht. Er war in der Nähe der Konstabler Wache, und er hatte vergessen, daß er eigentlich auf den Flohmarkt hatte gehen wollen. Statt dessen lief er in Richtung Zoo, Nutten ansehen. Es interessierte ihn, ob nicht wenigstens die Frauen ihr Geschäft aufsteckten, solange es regnete. Die Plastiktüte mit dem Schuhkarton boxte ihm während des Gehens an die Beine. Wahrscheinlich mußten die Frauen lachen, wenn einer mit Plastiktüte in ihre Nähe kam. Es fiel ihm ein, daß seine Mutter früher die Plastikdosen gesammelt hatte, in denen damals Kaffee verkauft wurde. Sie hielt die durchsichtigen Behälter für schön, und sie stellte sie, ausgewaschen und geputzt, nebeneinander auf den Küchenschrank. In einigen von ihnen verwahrte sie Lebensmittel, Zucker und Nudeln etwa, aber die meisten anderen waren leer. Die nebeneinander stehenden Dosen hatten ihn oft gereizt. Er verstand die Geste des Sammelns nicht, die Verankerung des Lebens in einer Anhäufung gleicher oder ähnlicher Objekte, von denen eine Art Zuversicht auszugehen schien. Noch jetzt, während er durch die Bordellstraßen in der Nähe des Zoos streifte, erregte ihn die Erinnerung an die Kaffeebehältersammlung auf dem Küchenschrank der Mutter, und es ekelte ihn die nicht zu beantwortende Frage, warum ihm der ganze Quatsch heute und in dieser Gegend einfiel. Die Frauen liefen in Regenmänteln umher oder standen in trockenen Hauseingängen. Er beobachtete sie, und sie beachteten ihn nicht. Er stellte sich unter das Vordach einer Bratwurstbude und aß eine Bratwurst. Die Frauen wußten, worauf sie warteten, er nicht. Der Bratwurstverkäufer las die Bildzeitung, die er auf einem Stuhl ausgebreitet hatte. Abschaffels Bratwurst war schon mehrfach angebraten und hatte eine harte Schmorkruste bekommen. Abschaffel blieb unter dem Vordach stehen und spuckte die härteren Teile der Kruste auf die Straße. Es störte ihn, daß es nun stärker regnete und er nicht umherlaufen konnte. Er spürte den Schmerz über Margots Verlust deutlicher werden, und wenn es ihm schlechtging, mußte er laufen. Er kam sich dann wie eine Maschine vor, die etwas niederhielt. Der Schmerz kam, und der Regen hörte nicht auf. Der Schmerz fühlte sich an wie eine Leerung des Körpers. Als wäre jemand dabei, ihn auszuschaben. Abschaffel hatte noch nicht allzuoft solche größeren Gemütsbewegungen erlebt, und er hatte auch nicht erwartet, daß der Druck auf den Körper nun so stark wurde. Er hatte so getan, als hätte er sich bereits vorher mit dem Schmerz über dessen Auftrittsstärke geeinigt. Die Räumung des Körpers ging schnell voran. Je mehr sein Innenraum leergenagt wurde, desto weniger glaubte er, sich selbst noch zu besitzen. Und der körperliche Schmerz machte ihm Lust, Widersacher zu erfinden und tätlich gegen sie vorzugehen. Es fiel ihm Barbara ein, und in der verkürzten Art des Denkens, die dem geschmerzten Körper nur übrigbleibt, stellte er sich Barbara als Hauptschuldige vor. Wenn sie da gewesen wäre, hätte er sie vielleicht niedergeschlagen, zu einem blutigen Klumpen hätte er sie geschlagen und sie dann hinter die Bratwurstbude geworfen. Er hätte dann eine Art Beute gemacht und hätte sich etwas zurückholen können von dem, was ihm der

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