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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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der zu viele Mütter mit Kinderwagen saßen. Auf dem niedergetretenen Rasen spielten einige verschwitzte Jungen Fußball, und Abschaffel lief langsamer, um ihnen besser zuschauen zu können. Er kam an niedrigen Büschen vorbei, und er sah in das Buschwerk hinein, weil er damit rechnete, auf dem Boden gebrauchte Präservative zu sehen. Danach sah er bis heute, wenn er an solchen Büschen vorbeikam. Angefangen hatte es damit, als er so alt war wie die Jungen, die hier Fußball spielten, und damals hatte er geglaubt, einen phantastischen Kontakt zur Welt zu haben, wenn er ein gebrauchtes Präservativ sah. Plötzlich rollte ihm der Ball der Jungen vor die Füße. Sie hielten inne und sahen zu ihm herüber und warteten darauf, daß er den Ball zurückkickte. Aber er sah auf seine Schuhe und seine frisch gereinigte Hose, er wollte weder das eine noch das andere beschmutzen und ließ den Ball liegen. Wie ein sturer alter Mann trottete er weiter und schämte sich und sah nicht mehr zurück. Die Mütter in den Anlagen verteilten Kuchen und Brote an die Kinder und ermahnten sie, alles untereinander zu teilen. Die Kinder folgten. Das werden sich die Kinder merken, dachte Abschaffel, und sie werden sich später rücksichtslos alles nehmen, was sie nur kriegen können. Er fühlte sich gut. Als er in der Stadt war, glaubte er, weit und breit der einzige zu sein, der auf allen Gebieten Bescheid wußte.
    Er ging sofort in ein Kaufhaus und fuhr nacheinander alle Rolltreppen bis ins oberste Geschoß hoch und auf den gegenüberliegenden Rolltreppen sofort wieder herunter. Er betrachtete die an ihm in entgegengesetzter Richtung vorbeifahrenden Personen. Manche sah er aufdringlich gierig oder verächtlich an. Jeder verlor jeden für immer aus den Augen, weil jeder an zwei verschiedenen Enden in zwei verschiedenen Stockwerken in zwei verschiedenen Mengen untertauchte. Am Fuß der letzten Rolltreppe im Erdgeschoß verteilte eine Werbedame an jeden ein kleines Fläschchen Parfum und eine kleine Papierrose. Es war durchdringend lächerlich, aber jeder, auch Abschaffel, wollte ein solches Fläschchen mit Papierrose haben. Das Parfumfläschchen steckte er in die Hosentasche, die Papierrose behielt er in der Hand. Genau in dem Augenblick, als er das Fläschchen eingesteckt hatte, traf er Barbara. Was machst’n? fragte sie. Nichts, sagte er, ich lauf ein bißchen herum, später werde ich nach Hause gehen. Du gehst immer nach Hause, sagte sie. Er ärgerte sich, weil er diese Bemerkung nicht verstand. Bald kannst du noch öfter nach Hause gehen, sagte sie. Verachtete sie ihn, und wollte sie ihm ihre Geringschätzung zeigen? Was meinst du damit, fragte er. Wenn Margot weg ist, mein ich, sagte sie. Margot geht weg? fragte er; was heißt: wenn Margot weg ist? Margot geht am ersten nach Köln, weißt du das nicht? fragte sie. Nein, sagte er, davon hat sie mir kein Wort gesagt. Dann erfährst du es jetzt, sagte sie. Seit wann weißt du es denn? fragte er. Von Anfang an, sagte sie, ich gehe mit ihr nach Köln. Was? fragte er. Ich werde Chefin in unserer Kölner Filiale, und ich hab Margot gefragt, ob sie mitgeht als rechte Hand von mir, und sie geht mit. So, machte Abschaffel. Sie lachte ein wenig. Du weißt davon wirklich nichts? fragte sie. Nichts, sagte er. Dann kannst du sie ja überraschen, sagte sie; aber du mußt dich beeilen, wir fahren nächste Woche zusammen in Urlaub, weißt du das auch nicht? So, nein, sagte er. Vierzehn Tage Las Palmas auf die schnelle, wir haben noch mal Glück gehabt, sagte sie; und wenn wir zurückkommen, fangen wir in Köln an. Sie wandte sich zum Weitergehen, blieb aber noch ein wenig stehen für den Fall, daß er etwas sagte. Aber er sagte nichts. Tschüs, sagte sie. Tschüs, sagte er.
    Er spürte eine Art Schreck, der ihm in den Kopf ging. Sein Körper lief weiter, als hätte er nichts erfahren. Er verließ das Kaufhaus, und er dachte daran, wie oft er selbst schon erwogen hatte, Margot zu verlassen. Aber diese Überlegungen waren immer folgenlos geblieben, sie bedeuteten nichts, weil er sich schon von vielen Personen, die er kannte, im Kopf wieder verabschiedet hatte, ohne sich wirklich von ihnen zu trennen. Aber Margots Verschwinden war ganz wirklich. Er war verlassen worden und hatte es nur durch Zufall und beiläufig erfahren, weil Margot selbst auf die Mitteilung keinen Wert mehr legte. Vielleicht hatte Barbara sie soweit gebracht, ihn endlich zu vergessen und mit ihr nach Köln zu gehen.
    Draußen regnete es

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