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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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aber es erschien eine herausgeputzte Ansagerin und kündigte eine neue Folge einer Feierabendserie an. Er fragte sich, ob es eines Tages möglich sei, diesen schimmernden Glitzerfrauen mitten in ihrer Ansage den Schwanz in den Mund zu stecken. Es müßte möglich sein, sich vor den Apparat zu knien, den Schwanz herauszuholen und die Ansagerin zum Schweigen zu bringen. Sie würde ihre Papiere auf den Tisch sinken lassen und ruhig das Geschlecht des Zuschauers annehmen. Das stellte er sich zwei Minuten lang vor, dann schaltete er den Apparat ab. Er ging in die Küche und fand einen Apfel, den er sofort anbiß. Er ging ins Zimmer zurück und setzte sich auf das Bett. Der Apfel schmeckte ihm nicht, und er warf ihn vom Bett aus flach über den Boden. Der angebissene Apfel holperte über den staubigen Teppich und nahm unterwegs ein paar Staubflusen mit, die an ihm hängenblieben. Knapp vor dem Tisch blieb er liegen, und als Abschaffel hinsah, bemerkte er die schwarz gewordene Banane auf dem Tisch. Sie war weiter geschrumpft, und sie roch ein wenig süßlich und faulig wie stehengebliebener Alkohol. Aber Abschaffel warf sie nicht weg.

 
    Er verlebte ungefähr zehn stille, nervöse Tage im Büro. Mehr als ein Drittel der Kollegen war in Urlaub. Auch Ajax war seit Tagen verschwunden. Niemand wußte, wo er seinen Urlaub verbrachte, außer Frau Morlock vielleicht. Einige Kollegen glaubten, er besaß eine Villa an der Costa Brava, andere vermuteten ein Haus am Chiemsee. Für beide Versionen gab es Anhaltspunkte. Ajax nahm die Sonnenbräune rasch an, und wenn er nach drei oder vier Wochen tiefbraun zurückkehrte und mit seinen silbergrauen Haaren aussah wie ein geflüchteter Verteidigungsminister, dann war die Costa Brava-Version in Umlauf. Aber Ajax mußte seinen Urlaub nicht wochenlang vorher planen. Er konnte auch überraschend verschwinden, von heute auf morgen, und dann kam er auch nicht gebräunt zurück, sondern nur gelockert und ausgeruht. Das sprach für den Chiemsee. Diesmal blieb er offenbar länger weg. Abschaffel hatte seinen Urlaub noch nicht einmal angemeldet. Er hatte die ungefähre Vorstellung, vielleicht im September drei Wochen zu nehmen. Er dachte an Margot, und er warf sich vor, daß er mit ihr noch immer kein Urlaubsgespräch geführt hatte. Seit er in ihrer Wohnung gewesen war, hatte er sie nicht wieder gesehen und nicht gesprochen. Er wußte nicht, ob er sich noch immer vormachen sollte, daß es für ein solches Urlaubsgespräch noch immer nicht zu spät sei. Er hatte es immer nur bei fahrigen Bemerkungen belassen und so getan, als könne man jederzeit ganz rasch zu einem Urlaub aufbrechen. Und dies, obwohl er genau wußte, daß der Sommer eine Aktion geworden war, die von Millionen von Angestellten und Arbeitern zielstrebig vorbereitet und durchgeführt wurde. Wer sich nicht rechtzeitig bei einem Reisebüro meldete, hatte eben keinen Sommer. Er hatte sich nicht gemeldet, er saß im Büro, und es gefiel ihm, daß er mehr als ein Drittel der Kollegen nicht sah. Das Großraumbüro fühlte sich an wie ein Kino, das sich immer gerade leert. Und es kamen viel weniger Anrufe, weil auch die Betriebe der Kunden durch Urlaubsausfälle gedämpft waren. Auf der ganzen Welt fehlten endlich einmal die Menschen, die sowieso immer zuviel waren.
    An einem Samstagmorgen beschloß er, um die Mittagszeit auf den Flohmarkt zu gehen. Dort war er schon lange nicht mehr gewesen, und er mochte es, im allgemeinen Geschiebe und Gewühle umherzugehen, langsam zu ermüden, dann mit dem Taxi nach Hause zu fahren und zu schlafen. Besonders die Stände der Türken gefielen ihm gut; die Türken verkauften entweder Bekleidung, billigen Schmuck oder Moscheemusik auf Kassetten. Noch jedesmal, wenn er auf dem Flohmarkt gewesen war, hatte er sich in der Nähe der türkischen Kassettenverkäufer aufgehalten und der jammernden Moscheemusik zugehört. Das unaufhörliche Klagen der Musik paßte zur Kulisse der Stadt, die von hier aus manchmal aussah, als wäre einst ein Riese vorbeigelaufen, der ein paar verschieden große Kartons fallen ließ, aus denen dann langsam Frankfurt wurde. Und die Moscheemusik war plötzlich eine lange Geschichte über die Rätsel der Stadt, die nicht mehr aufgeklärt, sondern nur noch bejammert werden konnten.
    Abschaffel zog eine frisch gereinigte Hose an und machte sich auf den Weg. Er wollte zuerst in die Stadt gehen und von dort aus mit der Straßenbahn zum Flohmarkt fahren. Er durchstreifte eine Grünanlage, in

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