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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Schiffsbug in den Verkaufsraum hineinragte. Auch in die Glastheke war eine indirekte Beleuchtung eingebaut. Abschaffel verlangsamte seine Bewegungen, um alle Neuerungen richtig wahrnehmen zu können. In einer Ecke stand, auch das hatte es zuvor nicht gegeben, eine Softeis-Maschine, ein riesiger Metallkasten mit einem kleinen Hebel und einer Öffnung. Passend zu den Farben der Regale und der Theke war der Raum neu gestrichen. Abschaffel wurde von der Bäckerstochter bedient, und er verlangte zwei Brötchen und ein Stück Schokoladentorte. Das Mädchen war freundlich und weich zu ihm, und er freute sich, daß wenigstens sie nicht ausgewechselt worden war. Er nahm von der neuen Glastheke seine Sachen herunter, und dabei bemerkte er, daß das Stück Schokoladentorte ohne den üblichen und notwendigen Pappdeckeluntersatz verpackt war. Und weil ein Stück Torte seinen äußeren Halt nur durch diesen Pappdeckeluntersatz erhielt, mußte er den Kuchen, der nur in dünnes Papier eingewickelt war, vorsichtig auf die flache Hand heben. So lief er auch nach Hause, und er überlegte, daß sich der Bäcker durch die neue Inneneinrichtung wahrscheinlich übernommen hatte und jetzt nicht einmal davor zurückschreckte, an den Pappdeckeluntersätzen zu sparen. Er beschloß, diese Bäckerei nicht mehr zu betreten. Ohnehin war er vom ersten Augenblick an gegen die ganze Erneuerung der Bäckerei eingestellt gewesen; sie richtete sich gegen alle Personen, die die alte Einrichtung jahrelang wiedererkannt hatten. Und wer sich diesen keksigen Plunder in den Laden stellte, so glaubte Abschaffel, der stellte sich gegen einen Teil der Kundschaft.
    Zu Hause schob er das Stück Torte in den Kühlschrank, packte das Schnitzel aus der Folie und legte es auf einen Teller. Die Panierung fiel gleich wie eine Hülle herunter, so daß er das an einigen Stellen noch halbrohe, nur schnell durchgeglühte Fleisch vor sich sah. Da saß er, biß von seinem Schnellschnitzel herunter und wußte nicht, warum er niedergeschlagen war. Aber so war es oft mit ihm; er reagierte mit alten Formen (unbedingt zu Hause essen) auf neue Umstände (Schnellschnitzel für Alleinstehende), und folgerichtig verwirrte sich alles in ihm, ohne daß er das eine richtig auf das andere zurückführen konnte. In diesem Fall wurde er böse, weil er doch vor zwanzig Minuten noch geglaubt hatte, es sei gut für ihn, wenn er das Schnitzel zu Hause aß. Aber er hatte nicht bemerkt, daß er, als er sich das Schnitzel kaufte, voller gefühlsmäßiger Erinnerungen war, die zurück in seine Kindheit führten, aber für sein heutiges Leben wertlos waren; erwartet hatte er aber, durch den ruhigen Verzehr des Schnitzels auch an alte Essensgefühle anschließen zu können. Lustlos und eilig verschlang er etwa die Hälfte des Schnitzels. Er aß im Stehen und aus der Hand. Die zweite Hälfte warf er weg, weil sie nicht richtig durchgekocht war. Er wusch sich die Hände und machte sich sofort daran, das neue Hemd auszupacken. Die beiden Beschäftigungen folgten so dicht aufeinander, daß er plötzlich denken mußte: Das Hemd ist nichts zum Essen. Er wurde ruhiger. Rasch hatte er alle Nadeln und Pappstücke entfernt, und er zog das neue Hemd an. Es gab seinem Oberkörper ein flächiges Aussehen, und das gefiel ihm. Im neuen Hemd setzte er sich vor den Fernsehapparat und schaltete ihn ein. Er erwischte eine Nachrichtensendung, und er verspürte sofort Unlust, Nachrichten zu hören. Natürlich kämpften in irgendwelchen Hügeln wieder irgendwelche Soldaten wegen irgendwas gegeneinander. Und seit Jahren wurde in den Nachrichten geschossen, aber aus den Schüssen wurden keine richtigen Nachrichten mehr. Im anderen Programm war Werbung; gezeigt wurde ein fröhliches Frühstück, an dem ein junger Ehemann, eine junge Ehefrau, eine junge Margarine und ein schönes Kind teilnahmen. Der junge Ehemann war frisch rasiert und gut gelaunt, die junge Ehefrau war frisch frisiert und gut geschminkt und küßte gerade ihren Ehemann. Das schöne Kind griff in einen Brezelkorb. Fasziniert sah Abschaffel hin. Dieses Frühstück war ihm so fern wie der Wüstenkrieg im anderen Programm, aber immerhin konnte er sich in diesem Programm eine Weile mit den Frühstücksmenschen verwechseln. Sie bissen vergnügt in knusprige Brötchen und beschmutzten das Tischtuch nicht. Ihre Augen blinkten einander zu, und die junge Frau wies mit gestrecktem Finger auf die Margarine. Abschaffel hätte noch gern eine Weile Werbefernsehen gesehen,

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