Abschaffel
sagte sie. Und jetzt sind Sie also in einer peinlichen Lage. Ja, sagte sie. Und aus dieser Lage wollen Sie herauskommen, indem Sie mich bitten, Ihre Lügen mitzulügen, wenigstens einen Abend lang, sagte er. Ja, sagte sie. Aber Sie können Branko doch sagen, daß Sie ihn angelogen haben und nicht verheiratet sind, sagte er. Frau Schönböck schwieg. Nein, sagte er, das können Sie eben nicht; so wie Sie gebaut sind, lügen Sie immer weiter, auch wenn alles ziemlich unangenehm wird. Abschaffel lachte verächtlich, aber sie schien davon auszugehen, daß sie diese Predigt nun über sich ergehen lassen mußte. Und das alles muß passieren, sagte er, weil Sie sich so schlecht vergnügen können. Was? fragte sie. Sie trauen sich nicht, sich zu vergnügen, weil Ihnen Ihr schlechtes Gewissen das Vergnügen eigentlich rundweg verbietet, sagte er. Das verstehe ich nicht, sagte sie. Sie lügen schon wieder, sagte er; um nichts kapieren zu müssen, versuchen Sie zunächst immer einmal, nichts zu verstehen. Sie haben schon verstanden. Ich verstehe nichts, wiederholte sie. Der Jugoslawe könnte ruhig kommen, er könnte wochenlang bei Ihnen wohnen, vielleicht sogar für immer, wenn Sie nicht so ein schlechtes Gewissen dabei hätten, sagte er. Sie phantasieren, sagte sie. Die Lügerei fing doch schon damit an, sagte er, daß Sie wirklich glaubten und es ja auch immer noch glauben, Sie hätten vor Ihrem Urlaub die Pille nur deswegen genommen, um sich vor einer Vergewaltigung zu schützen. Das habe ich wirklich so gemeint, sagte sie. Daß ich nicht lache, sagte er, Sie haben doch genau gewußt, im Urlaub passiert etwas, und zwar genau das, was dann auch passiert ist, das können Sie aber wieder nicht vor sich selber zugeben, und deswegen haben Sie sich diese idiotische Vergewaltigungsrechtfertigung erfunden, hahaha, lachte er ins Telefon. Sie wollen mir also nicht aushelfen, fragte sie. Doch, sagte er, ich komme morgen zu ihnen, schon weil ich Vergnügen daran habe, Ihnen zuzusehen, welche gewaltigen Komplikationen Sie bloß deswegen in Kauf nehmen, weil Sie so feige sind wie ein Maikäfer. Herr Abschaffel, rief Sie, das kann nicht stimmen, ich habe mich ja auch getraut, mit Ihnen zu schlafen. Hahaha, lachte er übertrieben. Erstens haben Sie auch mich angelogen, ohne das geht es nicht bei Ihnen, aber das ist gar nicht wichtig, weil Sie natürlich einen Teil Ihrer Lügen immer wieder vergessen müssen, weil Ihnen ja sonst allmählich der Kopf verfaulen müßte. Mit mir haben Sie sich natürlich eine andere Geschichte vorgemacht, sagte er; ich bin ja nicht neunzehn, sondern einunddreißig, und da hatten Sie eben mal angenommen, es könnte sich zwischen uns so eine richtige Angestelltenoperette entwickeln, nicht wahr? Sie sind ein Ekel, sagte sie. Ist schon gut, sagte er, aber das war mal fällig. Also gut, ich komme morgen abend zu Ihnen, Herr Schönböck gibt sich die Ehre, hahaha, wann soll ich denn kommen? Er hat geschrieben, daß er abends kommt, aber nichts Näheres. Um acht vielleicht? fragte Abschaffel. Also am liebsten wäre es mir, wenn Sie schon um sechs da wären, für alle Fälle. Also um sechs, sagte er; aber um sechs schläft ja Ihr Sohn noch nicht, oder? fragte er. Na und? fragte sie. Sehen Sie, Frau Schönböck, Sie vermeiden es mal wieder, sich die ganze Geschichte vorzustellen; mal angenommen, der Jugoslawe kommt tatsächlich schon um sechs, dann springt ihr Kind herum und wird fragen, wer die beiden fremden Männer sind, sagte Abschaffel; oder wollen Sie Ihren Sohn auch noch so weit bringen, daß er einen Abend lang so tut, als sei ich sein Vater? Verflixt, daran habe ich nicht gedacht, sagte sie. Ich merke es, sagte er; es bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, daß er tatsächlich erst um acht kommt. Sie schwieg eine Weile und sagte dann: Ach Gott. Abschaffel fiel nichts mehr ein. Also morgen abend um sechs, sagte er. Ich kann Sie ja mitnehmen, sagte sie.
Er schaltete den Fernsehapparat nicht mehr ein. Er hatte Hunger bekommen und ging in die Küche. Es war halb neun Uhr geworden, und er hatte lange mit Frau Schönböck telefoniert. In der Küche machte er sich zwei belegte Brote und trug sie in das Zimmer. In der langsamen Art, in der es im Sommer dunkel wird, ging draußen ein Tag zu Ende. In einer merkwürdigen Ruhe ging er noch einmal in die Küche und holte eine Flasche Bier. Er bemerkte, daß es ihm gutgetan hatte, Frau Schönböck Bescheid gesagt zu haben. Er schaltete das Radio ein und öffnete
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