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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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die Balkontür. Er dachte an Frau Schönböck und glaubte, daß es besser für sie gewesen wäre, wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, erwachsen werden zu müssen. Er wunderte sich über diese Regung des Mitleids, weil er doch genau wußte, daß er Frau Schönböck verachtete, sobald er sie nur ansah.
     
    Am nächsten Morgen feixten die Kollegen über Hornung. Er hatte sich einen blöden Betrug erlaubt und war dabei erwischt worden. Er hatte versucht, die Stechuhr um eine Stunde Arbeitszeit zu betrügen. Die Uhr schaltete sich abends automatisch um neunzehn Uhr aus. Gestern abend hatte Hornung bis neunzehn Uhr gearbeitet und dann seine Steckkarte absichtlich nicht aus dem Apparat herausgezogen. An diesem Morgen tickte ihm die Uhr von sieben bis acht eine Stunde Arbeitszeit ein, die er nicht im Betrieb gewesen war. Aber schon um neun Uhr war Fräulein Schindler mit ihrem Verdacht fertig und ließ Hornung zu sich kommen. Es war kränkend für ihn, sich von dieser jungen Person angiften lassen zu müssen. Niemand hatte dieser kleinen Sachbearbeiterin ein so zickiges Verhalten zugetraut. Hornung versuchte, seinen lächerlichen Betrug in ein Versehen umzubiegen. Fräulein Schindler widersprach. Bitte nicht mit mir, sagte sie. Hornung ging an seinen Platz zurück und sagte noch einmal: Ich hab nur vergessen, die Karte herauszuziehen. Und Fräulein Schindler sagte nicht einmal, auf Grund welchen Tricks ihr die Überführung gelungen war. Zwei Stunden lang wußten die Kollegen nicht, ob sie sich schon wieder über die Dummheit Hornungs ärgern oder ob sie sich über Fräulein Schindlers Härte empören sollten. Mörst schwieg ebenfalls; ihm war es vielleicht ganz recht, wenn sie verdrossen in ihrem eigenen Saft schmorten.
    Am Nachmittag, kurz nach fünfzehn Uhr, erschien der gekündigte Gersthoff noch einmal im Büro. Er wankte herein in seinem zerknitterten Anzug, und die Kollegen sahen einander an und konnten sich nicht erklären, warum Gersthoff noch einmal gekommen war. Er bot einen entsetzlichen Anblick. Mit tapsigen Bewegungen ging er auf Mörst zu, holte seine Brieftasche heraus und legte einen Hundert-Mark-Schein auf Mörsts Schreibtisch. Das ist für euch, sagte er zitternd, nehmt es, es ist von mir. Nehmen Sie Ihr Geld, sagte Mörst, Sie können es gebrauchen. Nichts, rief Gersthoff. Das ist nicht nötig, sagte Mörst. Geht alle in eine Kneipe und trinkt einen auf mich, sagte Gersthoff und versuchte zu lachen, aber er kam nur dazu, seine schlechten Zähne zu zeigen. Mörst erkannte, daß er Gersthoff nicht dazu bringen konnte, das Geld an sich zu nehmen. Dieser halbtote Mann wollte etwas spielen, was er zeitlebens nie gekonnt hatte: einen Gönner. Das war ein sicheres Zeichen für seinen nahen Tod. Passen Sie auf, Herr Gersthoff, sagte Mörst; ich nehme das Geld und kaufe Ihnen ein Geschenk dafür. Nein, rief Gersthoff. Hören Sie zu, sagte Mörst laut und stand auf, ich kaufe ein Geschenk für Sie, und dann treffen wir uns alle in einer Wirtschaft, Sie auch natürlich, dann geben wir Ihnen das Geschenk und trinken einen auf Sie. Als Gersthoff sah, wie Mörst das Geld an sich nahm, war er beruhigt, und als er außerdem seine eigenen Worte von Mörst wiederkehren hörte, schien er zu glauben, Mörst habe ihn endlich verstanden. Gersthoff kehrte um und verließ das Büro. Mörst begleitete ihn zum Ausgang, und als er zurückkam, sagte er: Mein lieber Herr Kanalarbeiter.
     
    Frau Schönböck empfing Abschaffel kurz nach sechs Uhr in freundlicher Stimmung. Das Kind saß in der Badewanne und sang. Er darf heute so lange im Wasser bleiben, wie er will, und dann schläft er rasch ein, sagte Frau Schönböck. Sie bat ihn ins Zimmer. Auf dem Tisch lag eine weiße Tischdecke, und es war für drei Personen gedeckt. Sie trug ein leichtes Sommerkleid und Bastschuhe, die sie sich wahrscheinlich aus dem Urlaub mitgebracht hatte. Hoffentlich haben Sie einen guten Hunger mitgebracht, sagte sie. Er antwortete undeutlich und setzte sich. Ich habe die neue Platte von Cat Stevens, wollen Sie sie hören? Ich weiß nicht, wer das ist, sagte er, und es hat keinen Sinn, wenn Sie es mir erklären, ich vergesse solche Sachen sofort wieder. Haben Sie keinen Plattenspieler? fragte sie. Doch, sagte er, ich habe sogar ein paar Platten. Sie lachte. Ich habe sie eher mechanisch gekauft, sagte er. Wie? Mechanisch? fragte sie. Ja, machte er, vor drei oder vier Jahren habe ich mal geglaubt, ich müßte einen Plattenspieler und Platten haben, und

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