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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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als ich das alles hatte, habe ich ein paar Wochen lang Platten gehört. Dann hörten die Platten auf, mir zu gefallen, und seither liegen sie irgendwo herum, sagte er; ich kann also nicht nur nicht sagen, welche Platten ich habe, ich kann außerdem nicht sagen, warum sie mir damals gefielen, und drittens kann ich nicht sagen, warum mir das Ganze dann irgendwann keinen Spaß mehr machte. Frau Schönböck kicherte. Aber wir reden schon viel zu lange über diese Geschichte, sagte er, Sie können Ihre neue Platte ruhig auflegen.
    Sie stand auf und ließ die Platte aus der Hülle rutschen. Es war halb sieben geworden. Der Junge stieg aus der Badewanne und rief nach seiner Mutter. Frau Schönböck verließ das Zimmer. Du gehst jetzt gleich ins Bett und rührst dich nicht mehr, sagte sie zu ihrem Kind. Jaaa, antwortete der Junge langgezogen. Ich habe dir zwei Brote, einen Pfirsich und ein Glas Milch an das Bett gestellt, und du kannst noch eine Weile lesen, bis du müde bist. Das Kind sprang mit nackten Füßen durch den Flur und verschwand in seinem Zimmer. Frau Schönböck kam in das Wohnzimmer zurück und setzte sich in einen Sessel. Wie gefällt Ihnen die Musik? fragte sie. Ich weiß nicht, sagte er. Das wissen Sie auch nicht? fragte sie zurück und lachte.
    Abschaffel nickte und sah sich im Zimmer um. Ich denke, wir warten mit dem Essen bis um acht, sagte sie; wenn er dann nicht da ist, fangen wir an. Ich hab was Besonderes gemacht, Fondue. An einer Wand hingen ein paar eingerahmte Fotos, auf denen alte Leute abgebildet waren. Das sind meine Eltern, sagte sie. Er schwieg und sah sich die Fotos an. Die Mutter war dick und trug ein geblümtes Kleid. Der Vater war kleiner und steckte in einer dunklen Hose und einer Wollweste mit Knöpfen vornedran. Meiner Mutter geht es zur Zeit sehr schlecht, sagte sie. Wieso? fragte er. Ach, sagte sie, ausgerechnet auf ihre alten Tage ist ihr Leben zu einer Katastrophe geworden. Ist sie krank? fragte er. Seelisch, seelisch krank, sagte sie; meine Mutter hat sich ihr Leben lang für drei Männer aufgeopfert. Mit ihrem Vater hat sie angefangen, mit ihrem Mann hat sie weitergemacht, und mit ihrem Sohn hat sie jetzt aufgehört, das heißt, sie hat aufhören müssen, weil ihr Sohn sie rausgeschmissen hat, und das übersteigt ihre Möglichkeiten, das versteht sie nicht mehr. Sie war siebzehn, als ihre Mutter starb, und dann machte sie erst einmal sechs Jahre lang ihrem Vater den Haushalt. Mit dreiundzwanzig heiratete sie, und dann stand sie dreißig Jahre im Haushalt ihres Mannes. Und als unser Vater starb, nahm sie ihren Sohn als Mann und machte mit ihm weiter. Das hat ein paar Jahre lang geklappt, aber jetzt hat mein Bruder eine Freundin, und das war das Ende für meine Mutter. Weil sie nicht begreifen konnte, daß es außer ihr noch eine andere Frau gab, hat sie sich in alles eingemischt, bis es meinem Bruder zuviel wurde. Er hat sie tatsächlich aus dem Haus gejagt, sagte sie. Und wo ist sie jetzt? fragte er. In Eschborn bei meiner Schwester, sagte sie. Die mit dem Arzt verheiratet ist? fragte er. Genau die, sagte sie.
    Es wurde acht Uhr, und von Branko war noch nichts zu sehen. Frau Schönböck trug den Fonduekocher herein und stellte zwei Flaschen Rotwein auf den Tisch. Sie hatte eine Menge Saucen gemacht, dazu drei verschiedene Salate. Wir fangen jetzt an, sagte sie, setzen Sie sich bitte hierhin. Ihr routiniertes und gefälliges Benehmen erregte Abschaffels Mißtrauen. Schon seit einer halben Stunde plagte er sich mit dem Verdacht, daß sie ihm die Geschichte von der Ankunft Brankos nur vorgeschwindelt haben könnte. Seit er bei ihr war, war von Branko nicht mehr gesprochen worden. Sie verhielt sich so, als hätte sie die Ankunft eines Dritten nie erwartet. Am liebsten hätte sich Abschaffel Brankos Nachricht zeigen lassen, aber er wollte sein Mißtrauen auch nicht nach außen kehren. Aber eigentlich war auch wieder nicht anzunehmen, daß sie die Geschichte nur erschwindelt hatte. Sie konnte zwar gut lügen, aber Erfindungen waren ihre Sache nicht. Sie log gewöhnlich nur dann, um aus schwierig gewordenen Ereignissen wieder herauszukommen, und nicht umgekehrt. Aber irgend etwas war an diesem Abend wieder nicht in Ordnung. Es störte ihn, daß ihm das alles nicht gleichgültig sein konnte. Sein Kopf wurde klein und eng, und eine Weile sagte er nichts. Frau Schönböck legte eine neue Platte auf. Die Fleischstücke schmorten im heißen Öl in der Mitte des Tisches. Es schmeckte ihm gut,

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