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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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aber weil er zu sehr damit beschäftigt war, irgend etwas zu durchschauen, bemerkte er kaum, daß er aß. Was war denn wieder los? Weil er nichts herausfand, ging sein Kopf dazu über, Frau Schönböck zu beschimpfen. Diese Freizeithure, diese elende, diese Neckermannfotze, und ein paarmal so weiter.
    Worüber denken Sie nach? fragte sie. Über Ihre Mutter, sagte er. Sie lachte. Eine Flasche Wein hatten sie schon geleert, und Frau Schönböck war guter Stimmung. Sie lachte über fast alles, was sich ereignete. Kann Ihre Mutter bei Ihrer Schwester gut leben oder wird sie nur geduldet? fragte er. Sie wird nur geduldet, sagte sie und trank ihr Glas leer. Sie müssen bedenken, sagte sie, daß sie ihr ganzes Leben immer nur im Haushalt war. Sie hat zum Beispiel nie ein eigenes Konto gehabt, Führerschein und so ganz zu schweigen, ich glaube, sie weiß noch nicht einmal, was eine Zahlkarte ist. Alle diese Dinge haben die Männer für sie gemacht. Und von den Männern hat sie auch das Geld regelmäßig gekriegt, in der Regel wöchentlich, wie ein Arbeiter.
    Sie reichte ihm eine Flasche Wein über den Tisch, und Abschaffel öffnete sie. Es war halb zehn geworden. Ich glaube nicht mehr, daß Ihre Urlaubsflamme noch erscheint, sagte er. Er verurteilte sofort das Wort Urlaubsflamme, das er niemals im Leben verwendet hätte. Er hatte es nur gebraucht, damit Frau Schönböck gut auf seine Bemerkung eingehen konnte. Ich glaube es auch nicht mehr, sagte sie. Aber warum kommt er denn nicht? fragte er noch einmal; er hat sich doch sogar die Mühe gemacht, Ihnen zu schreiben. Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: Vielleicht wollte er mich nur erschrecken. Abschaffel war über diese Antwort verblüfft. Nicht nur deswegen, weil sie in der Lage war, eine solche Erklärung zu finden, sondern mehr noch darüber, weil diese Erklärung vielleicht sogar stimmte. Und Sie haben sich auch erschrecken lassen, sagte er. Ja, sagte sie. Das heißt also, sagte er, er hat Ihnen geglaubt, daß Sie verheiratet sind, und gerade deswegen hat er nicht fassen können, was er mit Ihnen erlebt hat. Und deswegen hat er Sie zu Hause anschwärzen wollen, sagte er; er hat damit gerechnet, daß Ihrem Mann seine Nachricht in die Hände fallen wird. Meinen Sie, daß es so war? fragte sie, und ihre Stimme war tatsächlich erschrocken. Wie soll es sonst sein? fragte er.
    Sie hatten sämtliche Fleischstücke aufgegessen, und in der zweiten Weinflasche war nicht mehr viel drin. Frau Schönböck ging in die Küche. Sie kam mit einer großen Schale Erdbeeren und einer großen Schale Schlagsahne zurück. Oh, machte er und war sofort wieder mißtrauisch. Das ist unser Nachtisch, sagte sie vergnügt. Sie ging noch einmal in die Küche und kam mit einer Flasche Sekt zurück. Wenn der Jugoslawe wüßte, was ihm durch seine Faxen alles entgeht, sagte Abschaffel hilflos. Können Sie die Flasche aufmachen? fragte sie. Nicht gut, sagte er. Dann geben Sie sie her, sagte sie. Abschaffel beobachtete das Gesicht von Frau Schönböck, während sie sich an dem Sektkorken zu schaffen machte. Sie biß die Zähne aufeinander und öffnete den Mund und kniff die Augen zusammen, und Abschaffel hatte immer noch die lächerliche Idee, durch Beobachtung herauszufinden, ob sie es von Anfang an nur auf ihn abgesehen hatte. Sie füllte zwei Tellerchen mit Erdbeeren auf und gab Sahne darüber. Sie goß in zwei neue Gläser Sekt ein und sah Abschaffel an.
    Es könnte aber auch sein, sagte er, daß mit Branko doch alles anders gelaufen ist, sagte er, als er anfing, die Erdbeeren aufzuessen. Sie meinen, daß er vielleicht morgen kommt? fragte sie. Nein, sagte er, das glaube ich nicht; aber es könnte sein, daß er tatsächlich heute abend angekommen ist, vielleicht vor vier Stunden, und seither auf dem Hauptbahnhof herumirrt und den Ausgang nicht findet. Sie lachte. Das ist möglich, sagte er; unter den Bahnhof bauen sie doch seit Jahren einen S-Bahnhof, und zur Zeit muß man durch viele Brettergänge und Betontunnel hindurch, wenn man den Bahnhof verlassen will, da verirrt man sich leicht. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, sagte er, da kommt so ein neunzehnjähriger Balkanlümmel hier an. Eine Eisenbahn wird er schon einmal gesehen haben, aber ob er zwei Züge zugleich schon gesehen hat, ist fraglich. Und so ein Junge kommt auf dem Frankfurter Hauptbahnhof an, den haut es doch um. Frau Schönböck lachte, und Abschaffel schämte sich. Er hatte Spaß daran, mit einer diskriminierenden Rede ihr

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