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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Augsburg mußten heute das Haus verlassen. Der Spätdienst kam ihm gerade recht: Damit war der gemeinsame Feierabend mit Frau Schönböck vereitelt. Unversehens hatte sich eine Strategie der Verhinderungen ergeben, und genau das war es, was er heute brauchte. Er sagte Ronselt, was er wollte, und Ronselt antwortete nur: ist o. k. Ronselt seinerseits wollte heute um vier Uhr Schluß machen. Ich will mir ein Schlauchboot kaufen, sagte Ronselt, und da will ich mich mal ein bißchen in den Sportgeschäften umsehen. Ein Schlauchboot? hätte Abschaffel beinahe erstaunt gefragt, wozu um Gottes willen braucht man ein Schlauchboot, aber da fiel ihm ein, daß Ronselt ein Campingmensch war und daß er auch bald in Urlaub fuhr. Aha, sagte Abschaffel freundlich, Sie wollen diesmal Freizeitkapitän sein? Er wunderte sich, daß er das Wort Freizeitkapitän verwendet hatte. Er war sicher, das Wort vorher nie ausgesprochen zu haben. (Gestern schon hatte er das Wort Urlaubsflamme gebraucht. Und jetzt Freizeitkapitän. Wie kamen nur diese Worte in ihn hinein? Und wie kam es, daß sie so rechtzeitig auftauchten, so passend zu den Gelegenheiten?) Ronselt mußte lachen. Wir fahren diesmal an die dänische Westküste, dort soll man hervorragend in den Fjorden herumpaddeln können, sagte er. Na, dann toi toi toi, sagte Abschaffel. Es war unglaublich, aber er hatte wirklich toi toi toi gesagt, er hatte es selbst von sich gehört.
    Punkt halb zwölf verließ Abschaffel das Büro. Es kostete ihn Kraft, den Blick starr auf die Doppelglastür zu halten, als er den Weg durch den Großraum zurücklegte. Er meinte zu spüren, daß Frau Schönböck auf die Uhr sah. Es gehörte nicht zu seinen Angewohnheiten, vorzeitig zu verschwinden. Er drehte sich nicht um, sondern stieß mit angespannten Gesten die Glastür auf. Rasch flitzte er die Treppen nach unten, und eine halbe Stunde später saß er im fünften Stock des Kaufhofs im Restaurant und bestellte Reis mit Huhn.
    Er kam sich schäbig vor, aber er söhnte sich mit seiner Schäbigkeit gleich wieder aus. Es mußte etwas geschehen. Aber was? Es mußte sich etwas Grundlegendes verändern. Aber was war etwas Grundlegendes? Mehr als kleine, gelegentliche Schäbigkeiten sind mir vielleicht nicht möglich, dachte er. Die Kellnerin erschien und wischte mit einer Speisekarte ein paar Brotkrümel von seinem Eßplatz herunter und legte Besteck ab. Sie erschien gleich wieder und stellte sein Reisgericht vor ihn hin. Er bezahlte, damit er sofort wieder verschwinden konnte. Beim Essen dachte er mehrmals den gleichen Satz: Es müßte etwas geschehen. Und jedesmal kam er sich vor wie eine Spinne in einer leeren Badewanne. Er aß den Teller leer und fuhr wieder in die Firma. Er ging sofort an seinen Platz. Schon kurz danach war klar, daß es ihm gelungen war, Frau Schönböcks Verhalten zu dämpfen. Sie war verwirrt und wahrscheinlich beleidigt. Abschaffel fühlte sich schlecht. Unvorhergesehen empfand er Mitleid. Er schrumpfte in sich zusammen. Er wollte einen ruhigen Nachmittag verbringen und darüber nachdenken, daß etwas geschehen müßte. Er würde ungefähr bis sechs, vielleicht bis halb sieben im Betrieb sein, und bis dahin wollte er einen Ausweg gefunden haben. Das hatte er sich vorgenommen. Es fiel ihm ein Satz ein, den er gestern abend gedacht hatte. Ich bin immer in Panik, weil ich nicht herausfinden kann, was ich eigentlich will, so oder so ähnlich lautete der Satz. Diesen Satz machte er zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Er wollte ruhig auf seinem Platz bleiben und nachdenken. Der Vorarbeiter für Hannover war Schmitz, der Vorarbeiter für Augsburg war Hodler, zwei zuverlässige, selbständig arbeitende Leute. Abschaffel konnte sie im wesentlichen allein arbeiten lassen. Erst wenn die Waggons verplombt wurden, mußte er wieder in die Halle.
    Um fünfzehn Uhr brachte der Fahrer einer Delikatessenfirma einen Präsentkorb und fragte nach Herrn Mörst, der ihn bestellt hatte. Der Präsentkorb war das Geschenk für Gersthoff, von ihm selbst bezahlt. Es war ein großer, mit rot-weiß kariertem Tuch ausgeschlagener Korb, randvoll mit Würsten, Brot, Gebäck, Schokolade, Wein, Zigaretten, Käse und geräucherten Fischen. Abschaffel sah hinüber zu dem Korb, blieb aber sitzen, als er sah, daß Frau Schönböck sich erhob, um den Korb aus der Nähe anzusehen. Mörst tippte eine Notiz, mit der er die Kollegen zu einem Abschiedsabend für Gersthoff am Montagabend in die BRATPFANNE einlud. Die Notiz wanderte

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