Abschaffel
unten auf die Straße trat. Wie warm es draußen war! Die Kneipen hatten die Fenster geöffnet, und in den Gartenwirtschaften wurde gesungen, eine unfaßliche Leichtigkeit mitten in der Nacht. Die Neonschriften sahen aus wie frisch geputzt, der Beton war warm, und in den Straßen roch der weich gewordene Straßenteer. Abschaffel überlegte, ob er ein Taxi nehmen sollte. Aber er brauchte Zeit, viel Zeit, und er entschloß sich, lieber zu gehen. Es kränkte ihn, was er erlebt hatte. Es durfte ihm in Zukunft nicht mehr passieren, daß ihm einfach alles so passierte. Darüber wollte er nachdenken. Und tatsächlich, während er lief, stellten sich wieder gedankenähnliche Gebilde in seinem Kopf ein. Er beruhigte sich, und er überlegte sogar, ob er, wenn er zu Hause war, Frau Schönböck anrufen und sich entschuldigen sollte. Aber es kam nicht dazu.
Am folgenden Morgen war leider nicht Samstag oder Sonntag, sondern Donnerstag. Abschaffel mußte arbeiten. Er hätte einen Tag zu Hause bleiben können, um Frau Schönböck zu zeigen, daß er ihr aus dem Weg gehen wollte. Aber eine Störung dieser Art war ihm zu deutlich, obwohl er sich zugab, daß er nichts anderes wollte als die sofortige Distanzierung von Frau Schönböck. Als er um Viertel vor sieben im Bus saß, suchte er angestrengt nach einem Verhalten. Eine Weile spielte er sogar mit der Möglichkeit, Frau Schönböck als eine Art Betriebskonkubine zu behalten. Er würde sie gelegentlich besuchen und mit ihr schlafen, aber sonst nichts mit ihr zu tun haben wollen. Bis ein solches Verhältnis allerdings hergestellt war, überlegte er, würden Jahre vergehen, anstrengende und harte Jahre, und Frau Schönböck müßte durch mehrere Irrtümer über ihre Beziehung zu ihm hindurchgehen, bis sie sowohl kapiert als auch sich damit abgefunden hatte, was er von ihr wollte. Es gab ja viele solcher Verhältnisse, beruhigte er sich, die sich oft jahrelang an der Grenze zur Auflösung bewegten, aber immer noch einmal neu eine Runde ansprangen. Und für viele Menschen waren solche Verhältnisse die einzig möglichen überhaupt, obwohl gerade diese Leute immer behaupteten, unter diesen Verhältnissen zu leiden.
Er verfing sich in endlosen Erörterungen, denen er im Grunde nicht gewachsen war. Erst im Büro bemerkte er, daß alles ganz anders geworden war. Frau Schönböck flirtete offen über mehrere Schreibtische zu ihm herüber. Er war verwirrt und mühte sich ab, sich den neuen Stand zu erklären. Die Mattigkeit, mit der er ihre Signale erwiderte, richtete bei ihr nichts aus. Er wartete schon darauf, daß Ronselt oder Schobert die erste Bemerkung über diese neue Firmenliebe machten. Es dauerte eine Stunde, bis er in der Lage war, sich einige Gedanken zu machen. Wahrscheinlich glaubte Frau Schönböck lediglich, daß sie inmitten hektischer Liebkosungen eingeschlafen war, und dann war er auch noch so lieb gewesen und hatte sie in ihr Bett getragen und auch noch das Licht gelöscht. Wie vornehm, anständig und rücksichtsvoll von ihm. Und jetzt hatte sie nichts anderes zu tun, als fröhlich auf die Mittagspause zu warten, um dann mit ihm kichernd den gestrigen Abend zu rekapitulieren und sich wieder mit ihm zu verabreden. Was er am meisten verabscheute, war ihr Veröffentlichungsverhalten. Ständig gab sie Zeichen ihrer neuen Intimität mit Abschaffel von sich. Um halb elf kam sie sogar an seinen Schreibtisch und fragte, ob sie ihm eine Cola aus dem Automaten mitbringen sollte. Er verneinte hilflos, schaute aus dem Fenster und fürchtete sich vor der Mittagspause. Und je dringlicher er überlegte, wie er sich ihr entziehen sollte, desto schwächer waren die Ergebnisse seines Suchens. Er wollte ohne Erklärung verschwinden. Die Mittagspause an der Seite von Frau Schönböck mußte er unter allen Umständen verhindern. Aber wie? Er wollte wieder einmal zuviel. Er wollte durchaus eine Angestellte vögeln, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, und er wollte dieser Angestellten gegenüber wie ein Ehrenmann erscheinen, zugleich wollte er aber vor sich selber den Eindruck haben, es sei niemals etwas geschehen. Da fiel ihm zum erstenmal die Gleitzeit ein. Es war ihm ja ohne weiteres möglich, eine halbe Stunde vor der offiziellen Mittagspause den Betrieb zu verlassen. Ungewöhnlich war dann nur, daß er die Gleitzeit innerhalb der Kernarbeitszeit in Anspruch nahm. Aber wenn er Ronselt Bescheid sagte, würde es schon gehen. Abschaffel hatte heute Spätdienst. Die Verkehre Hannover und
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