Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
anzufreunden und sich von ihr aushalten zu lassen. Im Büro war es ganz still. Mein Gott, dachte er. Sein Oberkörper war zusammengesackt, und die Arme lagen in seinem Schoß. Schmitz betrat das Büro und brachte ihm die Ladeliste für den bereits fertig geladenen Hannoveraner Waggon. Ich komme gleich runter, rief er dem verschwindenden Schmitz nach. Er machte die Papiere für den Waggon fertig, addierte die Schlußtonnage und übertrug das Ladegewicht in den Frachtbrief. Er zündete sich eine Zigarette an und ging runter in die Halle und suchte den diensthabenden Bundesbahnbeamten. Er stand bei den Lkw-Fahrern. Abschaffel übergab ihm den Frachtbrief und ging wieder in das Büro zurück. Inzwischen hatten die Putzfrauen ihre Arbeit aufgenommen, aber sie verhielten sich so zurückhaltend, daß sie ihn nicht störten. Abschaffel bemerkte, daß er sich mit seiner Idee beschäftigte. Er genierte sich stark, und deswegen ging die Idee in seinem Kopf nur langsam voran. Er hatte sie bisher immer nur als flüchtige Erscheinung im Kopf gehabt und nie richtig entfaltet. Er überlegte, wie er an ein Mädchen herankommen könnte, und er fand, er müßte zuerst mit ihr ins Zimmer gehen, sie sehr gut bezahlen und sie dann zum Essen einladen. Beim Essen würden sie sich kennenlernen und alles Weitere besprechen. Sollte er die Einladung für den nächsten Tag aussprechen? Oder sollte er besser morgens kommen und mit ihr zwei Stunden später zu Mittag essen? Wenn ich sie für einen Tag später einlade, dachte er, sieht es vielleicht ernster aus. Andererseits war die zweite Möglichkeit spontaner, direkter und deswegen vielleicht überzeugender. Aber was würde passieren, wenn sie überhaupt nicht auf sein Angebot einging und sich über ihn lustig machte? Seine Vorbereitung auf diesen Fall bestand darin, daß er sich drei Versuche zugestand. Dreimal durfte jeder sein Glück versuchen; das galt vom Mensch-ärgere-dich-nicht bis zur Olympiade. Wenn er es mit drei verschiedenen Mädchen versuchte, mußte er wenigstens einmal Erfolg haben.
    Da betrat Hodler das Büro und meldete die komplette Verladung des Augsburger Waggons. Unverzüglich machte Abschaffel die Papiere fertig und ging in die Halle. Nach der Verplombung ging er ebenso rasch wieder in das Büro und räumte seinen Schreibtisch auf. Er war guter Stimmung. Die Einzelheiten zu seinem Plan fügten sich ungewöhnlich leicht zusammen. Er hatte sogar schon einen Zeitpunkt festgelegt, ohne es recht bemerkt zu haben. An drei verschiedenen Abenden sollte sich je ein Versuch ereignen, an einem Freitag, einem Samstag und einem Sonntag. Heute war Donnerstag, und das bedeutete, daß morgen abend sein erster Versuch fällig war. Die plötzliche Nähe der Ereignisse erschreckte ihn leicht. Aber seit einer halben Stunde kam er sich vor wie ein Mann, dem keine Hindernisse mehr einfallen. Und zu einem solchen Mann gehörte, daß er nicht darüber erschrak, wenn sich die entscheidende Stunde nicht irgendwann, sondern heute oder morgen zutrug. Er phantasierte sich in eine ernsthafte Zuversicht hinein. Er stellte sich sogar vor, schon am Montag nicht mehr arbeiten zu müssen. Mit dem Bus fuhr er in die Stadt. In der Innenstadt stieg er aus und ging von hier aus zu Fuß nach Hause. Es war Viertel vor sieben, und die Geschäfte hatten geschlossen. Es fielen ihm eine Menge Einzelheiten zu seinem Plan ein, die noch nicht geklärt waren. Er mußte ein Restaurant wissen, in das er das Mädchen einladen wollte. Es war sicher nicht gut, wenn er sich erst im Zimmer des Mädchens überlegte, in welches Lokal sie gehen sollten. Er wünschte sich ein einfaches, aber gutes Restaurant. Nein, ein sehr gutes, verbesserte er. Abschaffel kannte keine sehr guten Restaurants, und er beschloß, sofort eines zu suchen. Er wollte ohnehin nicht nach Hause, weil er verhindern wollte, eventuell noch mit Frau Schönböck telefonieren zu müssen (seine Zuversicht spreizte sich so sehr ins Phantastische, daß er im Augenblick sogar glaubte, auch nicht mehr in seine Wohnung zu müssen). Er schlenderte umher und bog schließlich in die Berliner Straße ein. In der Nähe des Theaters fand er ein Lokal, das ihm, jedenfalls von außen, geeignet erschien. Es hieß WAPPENTELLER und war auf altdeutsch zurechtgemacht. Sollte er das Lokal nicht wenigstens vorher einmal ausprobiert haben? Welche eigentümlichen Probleme er heute hatte! Und schon hatte er den WAPPENTELLER betreten. Er sah nur wenige Gäste, und er setzte sich an einen

Weitere Kostenlose Bücher