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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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von Schreibtisch zu Schreibtisch, und jeder zeichnete den Zettel ab. Kurzfristig war Abschaffel in Gefahr, vom Nachdenken über seine eigenen Probleme abzukommen, weil er sich über den geplanten Abschiedsabend zu erregen begann. Ein Halbtoter, der kaum noch sein Bierglas halten konnte, begriff nicht, daß seine Zeit um war, und ein rührseliger Betriebsrat, der immer nur das Gute wollte, aber keinen Geschmack und keinen Instinkt hatte, zwangen gemeinsam ihre Kollegen, einen ganzen Abend lang an ihren Unfähigkeiten teilzunehmen. Abschaffel beschloß, dem Abend fernzubleiben. Er fühlte sich seltsam kräftig, nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte. Er überlegte sogar eine Weile, ob er Mörst nicht veranlassen sollte, den Abend abzusagen. Aber rings um ihn dachten die Kollegen schon laut darüber nach, ob sie am Montag Zeit hätten. Natürlich hatten sie Zeit, sie hatten ja sonst nichts, aber sie taten, als müßten sie ganz unwahrscheinliche Manipulationen vollbringen, um endlich mal einen freien Abend reservieren zu können. O Gott, was machte es ihnen einen Spaß, sich für nichts und wegen nichts aufzuplustern.
    Abschaffel mußte in die Halle, um sich zu zerstreuen. Er schaute kurz bei Schmitz und Hodler vorbei; die Verladungen gingen zügig voran. Abschaffel schritt die schmalen Gänge zwischen all den Kisten, Kartons und Fässern entlang. Sein Kopf war erregt, sein Hemd sauber. Durch Tor 6 verließ er die Halle und betrat die Verladerampe, die außen um die Halle entlanggebaut war. Er wollte wissen, wieviel Uhr es war, aber er hatte keine Lust, auf seine eigene Armbanduhr zu schauen. Er hatte beide Hände in den Hosentaschen, und er sah den manövrierenden Lkw zu, die im Innenhof mit der Rückseite an die Verladerampe heranfuhren. Er sah sich nach einem gerade nichts arbeitenden Arbeiter um, dem er auf die Armbanduhr schauen konnte. Er erblickte den Arbeiter Heidenreich, der sich auf einer Sackkarre abstützte, und er ging an ihm vorbei und sah auf Heidenreichs Armbanduhr, daß es vier Uhr war. Es ist vier Uhr, dachte er, es ist vier Uhr, und ich will nicht mehr in dieses Büro. Dieser Satz erregte ihn und erschreckte ihn. Er fühlte, daß er einen elementaren Wunsch gedacht hatte, der für ihn vielleicht zu groß war. Er ging zurück durch die Halle, betrat das Büro und setzte sich an seinen Schreibtisch. Ronselt war schon weg, Schlauchboote ansehen und vielleicht eines kaufen. Abschaffel sah im Büro umher, und es machte ihm Vergnügen, alles abzulehnen, was er sah. Diese Gummibäume muß ich nicht mehr ansehen, Frau Schönböck muß ich nicht mehr aus dem Weg gehen, Ronselts Schreibtischordnung muß ich nicht mehr aushalten, und als er Hornung sah, dachte er: Und ich werde keinen Angestellten mehr kennenlernen, in dem ich mich täusche.
    So machte er eine Weile weiter, und es beruhigte ihn. In einer halben Stunde hatte er fast alles abgelehnt, was sich in seiner Sichtweite befand. Es erging ihm wie einem Kind, das mit einem zu großen Geschenk überrascht wird. Jahrelang erhielt es nur Aufziehautos, dann plötzlich ein Schaukelpferd. Das zu große Geschenk überrascht die Einbildungskraft, und das Bewußtsein glaubt für eine Weile, in Zukunft mit ähnlichen großen Schritten vorwärtszukommen. Abschaffel wartete auf weitere gute Sätze. Er fühlte sich gut. Es wunderte ihn, daß er den Satz nicht sofort relativierte, sondern gelten ließ. Früher hatte er an allem, was er für sich selbst gut fand, so lange herumgedacht, bis er es schließlich unvernünftig fand. Punkt fünf Uhr leerte sich das Büro. Frau Schönböck sah nicht zu ihm herüber, als sie durch die Glastür ging. Bestimmt ruft sie mich heute abend an, dachte er, oder spätestens morgen. Oder ich werde übermorgen, wenn sie bis dahin nicht angerufen hat, ein so schlechtes Gewissen haben, daß ich es nicht mehr ertragen kann und selbst anrufe. Ekelhaft, dachte er. Hatte er denn keinen Traum? Traumlos dachte er immer an die kleinen Wirklichkeiten. Wenn Ronselt das Unmögliche dachte, fiel ihm als Traum eine eigene große Bar in der Bahnhofsgegend ein. Wenn Frau Schönböck träumte, fiel ihr ein fabelhafter Ehemann ein, der sie von allen Widrigkeiten befreite. Aber er hatte wieder einmal nichts. Nein, das stimmte nicht. Auch er hatte eine Idee, die er nie Traum nannte und die ihm schon lange nicht mehr eingefallen war. Er schämte sich sofort, als sie ihm wieder in den überanstrengten Kopf kam. Es war die Vorstellung, sich mit einer Nutte

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