Abschaffel
solange ich gearbeitet habe, aber das ist eben der Vorteil, wenn man in einem Familienbetrieb arbeitet, da kriegt man vom Chef etwas zum Geburtstag.
Am Montag, als Abschaffel eingeladen worden war, war ihm der Donnerstag wie ein ganz ferner Tag erschienen. Er hatte geglaubt, viel Zeit zu haben, um sich reiflich überlegen zu können, ob er an der abendlichen Geburtstagsfeier teilnehmen sollte oder nicht. Nun war das Ereignis vor ihn hingetreten, und er hatte nicht fünf Minuten lang nachgedacht, wie er sich verhalten sollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich halbherzig und verstockt irgendwie in den Lauf der Ereignisse einzufügen. Und der Lauf der Ereignisse brachte ihm zunächst eine Erleichterung: Die anderen kamen überein, zunächst nicht, wie am Montag noch vorgesehen, zu Fräulein Schindler nach Hause zu gehen, sondern sofort in eine Kneipe zu fahren. Fräulein Schindlers Cognac können wir später auch noch stürzen, rief Hornung. Natürlich wünschte sich Abschaffel, die Geburtstagsfeier schon überstanden zu haben. Er überlegte, daß es für ihn das beste sein würde, wenn er sich an Frau Hannemann hielt. Sie war eine Tierliebhaberin, und eines ihrer Lieblingsthemen war der Fang von Singvögeln in Italien. Es war zu befürchten, daß sie den ganzen Abend über die bedrohte Tierwelt sprach, aber das war immer noch besser als die Nähe von Hornung oder Frau Schönböck. Schon eine Stunde vor Feierabend redete Hornung darüber, in welches Lokal man gehen sollte. Am besten in den OLD SMUGGLER , rief er. Allerdings ist die REITPEITSCHE auch ganz gut, sagte er wenig später. Ronselt, der nicht eingeladen war, sah Hornung mitleidig an. Es war nicht klar, ob Hornung diese Lokale kannte oder ob er sie endlich einmal kennenlernen wollte. Im übrigen war Ronselt nicht böse darüber, weil er nicht eingeladen worden war. Es gab Kleingruppen von Kollegen, die nichts miteinander zu tun hatten. Ronselt gehörte der Gruppe Holzmann-Kleinschmidt-Rüger-Meierbeer an, und wenn ein Geburtstag in dieser Gruppe fällig war, dann war es ganz selbstverständlich, daß er nur innerhalb dieser Gruppe gefeiert wurde. Wir können aber auch, rief Hornung, in den LEIERKASTEN gehen, dort verkehrt die Unterwelt. Tatsächlich? fragte Frau Schönböck. Da gehen wir hin, sagte Fräulein Schindler. Der LEIERKASTEN ist ein Eßlokal in Sachsenhausen, sagte Hornung; der Kellner bedient die Gäste ganz schlecht, aber eben der Kellner gehört schon zu den Attraktionen des Lokals. Abschaffel hörte nicht mehr hin. Er setzte sich bereits ab. Der sich ankündigende Unfug sollte kein Teil seines Lebens werden. Er verspottete Hornungs Vorstellung, es gäbe ein Lokal, in dem sich Angehörige der Unterwelt wie zur Besichtigung für Angestellte aufhielten. Natürlich kam der Spott nur in seinen Gedanken vor.
Abschaffel, Hornung, Frau Hannemann und die beiden Lehrlinge Bosch und Moser hatten kein Auto. Es gelang Abschaffel, sich als Mitfahrer in die Gruppe um Fräulein Schindler anzufügen. Hornung fuhr mit Frau Schönböck, ebenso Frau Hannemann. Fräulein Schindler war guter Laune. Es regnete leicht, als sie losfuhren, und im Auto nahm Abschaffel seine Brille ab und rieb die Regentropfen von den Gläsern herunter. Als er die Brille wieder aufsetzte, bemerkte er, daß die Regentropfen gar nicht auf seinen Brillengläsern gewesen waren, sondern vor ihm auf der Vorderscheibe des Autos. Das Versehen amüsierte ihn, und er überlegte kurz, ob er es mitteilen sollte. Aber er hatte das Gefühl, nicht die richtigen Worte zu finden. Außerdem glaubte er, an der Art seines Versehens könnten die anderen erkennen, wie alt er sich fühlte. Er fühlte sich wie ein älterer Mann. Eigentlich wollte er ununterbrochen sagen: Bitte nicht so laut, bitte nicht so schnell, bitte nicht zuviel. Es waren Bitten um Eindämmung der ganzen Welt, wie sie gewöhnlich von älteren Personen geäußert werden. Fräulein Schindler fuhr munter durch die Stadt. Sie schaltete das Autoradio ein, und durch die fahrende Bewegung des Wagens, die von der Radiomusik mitgetragen schien, entstand der Eindruck, ringsum tanzten und schwankten die Häuser und Straßen. Auf dem Rücksitz saß der Lehrling Bosch und redete kein Wort. Fühlte er sich denn auch schon uralt? Abschaffel hatte erwartet, daß Bosch vielleicht ein Messer herauszog und damit im Wagen herumfuchtelte. Aber Bosch saß mit verschränkten Armen auf dem Rücksitz und sog sein Wangenfleisch nach innen. Der Freund von
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