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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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nicht von dem Gefühl abbringen konnten, er komme zu kurz und hätte von allem immer zuwenig. Und wenn er aufrichtig gewesen war, dann wartete er darauf, daß es ihm nun besser erginge, aber er fühlte sich keineswegs besser. Und wozu dann diese blöde Aufrichtigkeit? So lebte er in einer Häufung von unterhaltenden und sexuellen Ereignissen, die ihn beschäftigten, aber nicht trösteten. Er erkannte in diesen Unterhaltungen nicht einmal seinen Wunsch wieder, warum er überhaupt mit drei Frauen gleichzeitig Umgang hatte.
    Dabei liebte er die Körperlichkeit der Frauen und alles, was mit ihren Körpern zu tun hatte. Er war dankbar beim Lieben, und die Frauen sagten ihm, daß sie noch von keinem Mann mit dieser Ausführlichkeit und diesem Interesse beschlafen worden seien. Wenn er mit der Apothekerin zusammen war und ihr lange den Mittelfinger in die Vagina hielt, hörte sie zu sprechen auf. Ein Bein hoch aufgerichtet, die Arme über den Kopf hinausweisend, lag sie stumm da, und Abschaffel empfand Lust, sie zu betrachten, wenn sie nicht sprach. Niemals hatte sie ihn aufgefordert, seinen Finger wegzunehmen, und Abschaffel empfand schon Neid auf seine eigene Zärtlichkeit. Er blieb so lange bei ihr, bis die Haut seines Fingers vollkommen eingefeuchtet und wellig geworden war, ähnlich wie die Finger von kleinen Kindern, wenn sie lange im Wasser gespielt haben. Und später, wenn die Apothekerin wieder gegangen war, dann achtete er darauf, daß er sich den Mittelfinger auf keinen Fall wusch, weil er den Originalgeruch der Frau auch später noch riechen wollte. Der Geruch haftete dem Finger in abgeschwächter Form noch zwei Tage an, und wenn Abschaffel unterwegs war, hielt er sich gelegentlich den Finger unter die Nase, um den Geruch haben zu können. Dieser Geruch war einzigartig und nur von Frauen zu bekommen.
    Von allem war nur übriggeblieben, daß Abschaffel allein war. An manchen Tagen bestand er nur aus wehen Hemmungen; wenn er dann irgendwo einen Besuch machte und die Tür öffnete, sagte er etwa: Guten Tag, aber ich muß gleich wieder gehen. An den meisten Tagen machte es ihm wenig aus, allein zu sein. Dann schmorte er in seinen fehlgeschlagenen Anstrengungen und Bemühungen. Wenn alles zu arg wurde, mußte er etwas tun. An diesem Sonntag spürte er, wie es ihn beleidigte, lediglich durch eine Grippe deutlicher in der Welt zu sein, und dies auch nur vor sich selber. Er hatte begonnen, sich bis auf die Unterwäsche zu entkleiden. Seine Hose legte er, wie er es gelernt hatte, über einen Stuhl. Und als er darauf achtete, daß Bügelfalte auf Bügelfalte über der Stuhllehne zu liegen kam, begann er schon zu fühlen, daß er sich nicht würde leiden können, wenn er das Zimmer putzte. Dazu hatte er sich entschlossen. Er wollte nur in Unterwäsche bekleidet das Zimmer putzen, davon versprach er sich weniger Umständlichkeit. Auf dem Tisch ordnete er sich eine einzelne Zigarette, dazu einen leeren, sauberen Aschenbecher und eine Schachtel Streichhölzer zurecht. Er erwartete, nach dem Putzen unvergleichlich erschöpft und dumpf zu sein, und dann wollte er eine Zigarette griffbereit haben, damit er sich rauchend aussöhnen konnte mit der Tätigkeit, die er noch vor sich hatte. Ohnehin fürchtete er sich davor. Er putzte in Abständen von fünf bis zehn Wochen seine Wohnung. Bisher war es immer so gewesen, daß er, sobald er mit Putzen fertig war, in eine Art Panik vor der Sauberkeit geriet und die Wohnung sofort danach verließ, weil er glaubte, hier könne er nicht mehr wohnen, so sehr befremdete ihn die Sauberkeit. Abschaffel hatte einen Eimer mit heißem Wasser bereitgestellt und den Putzlappen daneben gelegt und wollte, mit zusammengepreßten Lippen und kurzem Atem, mit dem Putzen beginnen. Da ging er zu dem Tisch zurück und zündete sich eine Zigarette an, die er erst nach Beendigung des Putzens hatte rauchen wollen. Das gefiel ihm nicht, es kam ihm vor wie die erste Niederlage in einer Reihe von Niederlagen, die während des Putzens auf ihn zukommen würden. Während er rauchte, sah er auf seine nackten Beine herunter und auf seine Unterhose, und er war froh, daß ihn niemand sehen konnte. Er griff sich mit der linken Hand in eine Beinöffnung der Unterhose und spielte abwesend an seinem Geschlecht und ließ es wieder.
    Er trug den Eimer Wasser nicht an einen Punkt der Wohnung, den er sich für den Beginn des Putzens ausgesucht hatte, sondern er hockte sich dort, wo er den Eimer hingestellt hatte, auf den Boden

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