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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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vertraulichem Ton darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sein verschwitzter und ermatteter Körper die kühle Luft, die durch die geöffneten Fenster eindrang, aufnehmen und seiner Grippe einen günstigen Boden bereiten würde. Den neuen Zustand bemerkte er sofort. Die Schleimhäute waren plötzlich in eine ihm unbegreifliche Tätigkeit versetzt und produzierten unablässig wäßrigen Schleim, der ihm in solchen Mengen aus der Nase rann, daß er sich mit einer unnützen, nur instinktiven Bewegung die Hand vor das Gesicht hielt.
    Abschaffel erhob sich und schloß die Fenster. Er ging in den Flur und blickte in den Spiegel. Die Augenlider waren stark gerötet und deutlich geschwollen. Die Nase war überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Er ging in das Zimmer zurück und legte einen Packen Papiertaschentücher neben sich. Er tat nichts mehr, ohne in der einen oder anderen Hand ein Papiertaschentuch umherzutragen und es in immer kürzeren Abständen an die Nase zu führen. Durch das häufige Nasenputzen war die Haut um die Nasenflügel herum rissig geworden und an mehreren Stellen aufgesprungen. Dadurch war jede Berührung der Nase schmerzhaft, und doch wußte er nicht, wie er ohne Nasenputzen die nächste Minute seines Lebens erreichen sollte. Die nächste Minute seines Lebens! Er kam sich lächerlich vor, daß ein Schnupfen ausreichte, damit ihm die nächste Minute seines Lebens wie etwas Bedrohtes vorkam. Es war ihm unmöglich, irgend etwas zu tun oder irgendwo zu sein, ohne zugleich mit flüssigen Absonderungen zu tun zu haben. Die Wasserströme aus der Nase waren zu stark geworden; in ein frisches Papiertaschentuch konnte er höchstens zweimal hineinwässern.
    Abschaffel war es gewohnt, allein zu sein, und so fiel ihm nicht ein, jemanden, vielleicht telefonisch, um Hilfe zu bitten. Obwohl noch jung, glich er darin einem alten Mann, der nicht mehr frei darüber nachdenken konnte, wie ihm zu helfen sei. Abschaffel hielt einfach alles aus und blieb allein. Er holte seinen Papierkorb zu sich heran und stellte ihn neben den Stuhl, auf den er sich setzte. Er schloß die Augen und versuchte, mit den Taschentüchern sein Gesicht abzutupfen. Er legte den Kopf etwas zurück auf die Stuhllehne und versprach sich davon Linderung.
    Noch ehe er darüber nachdenken konnte, wie lange er sich in dieser Haltung ertrug, war bereits der Punkt erreicht, an dem Abschaffel glaubte, nicht weiterzukönnen. Er richtete seinen Zorn gegen seine Nase, und nachdem er eine Weile gegen sie phantasiert hatte, ohne seine Phantasien anhalten zu können, war er bei dem Wunsch angelangt, die Nase oder jedenfalls den für die Wasserabsonderung verantwortlichen Teil seines Kopfes irgendwie zu entfernen oder jedenfalls ihm derart zuzusetzen, daß eine andere Situation eintreten mußte. Er legte zwei Papiertaschentücher übereinander, faltete sie sich über das Gesicht und stieß mit Anstrengung allen Schleim und alles Wasser aus der Nase heraus. Er wiederholte diesen Vorgang einmal, wobei der Kopf zu schwellen schien und vor Kraftaufwand zitterte.
    Für einige Augenblicke war es Abschaffel so, als hätte er das Richtige getan. Der Kopf war durch die Anstrengung heiß geworden, leer und endlos. Matt ließ er den Kopf nach hinten sinken und glaubte, nun könne er schlafen, und am nächsten Tag sei alles vorbei. Bis er bemerkte, daß ihm etwas über die Lippen und in den Mund hineinrann. Abschaffel erschrak mit seinem schwitzenden, feuchten, kranken Körper. Er griff sich mit dem Taschentuch erneut an die Nase und hob es vor die Augen. Es war blutig. Sofort war viel Blut da, es rann offenbar schnell und reichlich. Durch die Anstrengung mußte etwas geplatzt sein, und aus Aufregung konnte er sich nicht vorstellen, daß es vielleicht nur ein Äderchen war. Das Blut war feuchter als das Wasser, es setzte sich tiefer in alles hinein und machte dort, wo es einmal war, einen unabänderlichen Eindruck.
    Abschaffel zerrte aus dem Beutel, in dem seine schmutzige Wäsche verstaut war, ein Hemd heraus und hielt es sich ins Gesicht. Wieder setzte er sich auf den Stuhl und beugte den Kopf tief nach hinten. Er schmeckte sein eigenes Blut im Mund, und dabei gab er sich unumwunden zu, daß er Hilfe brauchte. Er sah nichts mehr, so sehr waren seine Augenhöhlen mit Tränenwasser voll, er machte wahrscheinlich alles falsch und sehnte sich nach irgend etwas. Aber es gehörte zu seiner Art des Zufriedenseins im Unglück, plötzlich wieder etwas Angenehmes zu spüren oder

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