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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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wie es denn war. Dies fragte sie jedesmal, wenn er von irgendwoher zurückkam, und jedesmal hatte er nicht gewußt, was er sagen sollte. Er war froh darüber, daß er überhaupt weggewesen war, und sie wollte gleich eine Erklärung. Tatsächlich blieben ihm von Ausflügen dieser Art keine konkreten Erinnerungen zurück, die er hätte berichten können. Weil aber die Mutter auf Darstellungen bestand, mußte er auf dem Heimweg eine zum Aufsagen geeignete Erklärung vorbereiten, einige nahezu auswendig gelernte Sätze, die, hintereinander vorgetragen, die Mutter zufriedenstellten. So hatte er, nur um in Ruhe nach Hause kommen zu können, etwas erfinden müssen. Da die Ereignisse nicht sprechen, die Menschen die Ereignisse aber als sprechende Ereignisse erleben wollen, muß man für sie eine Sprache erfinden, also lügen.
    Heute setzte die Verlogenheit Abschaffels schon darin ein, wenn er anderen Personen heiter begegnete. Immerzu hatte er das Gefühl, nicht wahrhaftig zu sein. Immer fehlte ihm etwas, damit er sagen konnte: So bin ich wirklich. Die drei Mädchen hatten seine Lockerheit geschätzt, und wenn sie bemerkten, daß sie gespielt war, erst recht. Jemand, der gelöst sein konnte, wenn er es gar nicht war, mußte ein bemerkenswerter Mensch sein, der sich nicht niederziehen ließ von seinen Stimmungen. Dann lebte er in einem unentwirrbaren Zustand von Falschheiten und Gestelltheiten. Wenn es ihm zuviel wurde, ließ er sich nicht mehr sehen, rief nicht mehr an, und rasch war alles vergessen. Sonderbar war, daß auch die Frauen rasch verzichteten. Eine geschmacklose Angestellte, mit der er zusammen war, litt unter der Langeweile ihrer Arbeit, und es fiel ihr nicht auf, daß sie ihm, Abschaffel, genauso langweilig von ihrer Arbeit erzählte. Sie war fähig, sich ohne sein Zutun mit ihm zu unterhalten, und Abschaffel saß auf ihrem Bett und dachte ans Auswandern. Wirklich wollte er nicht nur sofort aus ihrer Wohnung heraus, sondern gleich in ein anderes Land. Abschaffel war gedemütigt, weil ihm soviel Langeweile zustieß. Noch wenn sie sich auszog und ihr Kleid auf einen Sessel legte, erklärte sie weitschweifig, was dieser und jener heute im Büro zu ihr gesagt hatte. Sie ließ sich gern von hinten beschlafen, und das war der Grund, warum Abschaffel über die Zeit mit ihr zusammenblieb. Sie bemerkte nicht einmal, daß er sich schämte. Seine zweite Freundin war eine Studentin, eine junge Person, die fröhlich war und hilfreich mit einem sehr kalten Mund. Tagelang, manchmal wochenlang, hörten und wußten sie nichts voneinander, dann rief sie ihn an, oder er rief sie an, sie trafen sich wieder und legten sich schnell zusammen in ein Bett. Sie schliefen gut miteinander, und sie machten sich lustig darüber, daß sie sonst nichts konnten. Abschaffel entsetzte sich bald auch vor der Studentin, aber das Entsetzen führte zu nichts, es lief nur neben der Bekanntschaft her und war jederzeit da. Als sie einmal im Bett lagen und sie sich auszog, sah Abschaffel in ihrer Hose eingelegt eine Periodenbinde. Die Binde war kaum blutig, nur in der Mitte zog sich ein roter Streifen hin, und die Studentin sagte, er könne zu ihr kommen. Sie zog die Hose aus mit der Binde darin, und Abschaffel wollte herausfinden, was er eigentlich wünschte, statt dessen kam er nur in eine Stimmung, das war das Entsetzen. Sie sagte, sie schliefe gern, wenn sie ihre Periode hätte, das würde sie jucken; außerdem, sagte sie, und das war Abschaffel neu, hätte sie wieder ihren Pilz in ihrem Geschlechtsorgan; der Pilz sei harmlos, eine Art Ekzem, das ihr zu schaffen machte; sie sei schon bei mehreren Ärzten gewesen und hätte mehrere Salben bekommen, aber es helfe alles nichts, von Zeit zu Zeit breche der Pilz aus; aber sie hätte gar nichts gegen den Pilz, denn auch das Ekzem mache das Beischlafen für sie schöner. Sie lachte, und Abschaffel schlief mit ihr. Die dritte Verbindung war die mit einer geschwätzigen Apothekerin. Sie wünschte vor, während und nach jedem Ereignis, das mit ihr zu tun hatte, eine Aussprache über dieses Ereignis, und es störte sie nicht, daß Abschaffel wenig sprach. Während sie redete und redete, schwieg und schwieg er. Er hatte das Gefühl, Aufrichtigkeit ist ein Luxus, der noch nicht einmal die Aufrichtigen glücklicher macht. Er war oft so traurig, daß er sich Aufrichtigkeit hätte leisten können. Gegen sich selbst war er es manchmal, zum Beispiel als er sich eingestand, daß ihn auch drei Verbindungen zu Frauen

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