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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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und begann an dieser Stelle mit dem nassen Lappen kreisförmige Bewegungen auf dem Boden auszuführen. Er hatte damit gerechnet, mutlos zu werden; er hoffte, weitgehend alle Gefühle zu verlieren, während er weiterputzte, denn er konnte sich kaum vorstellen, in dem Zustand der Mutlosigkeit, der ihn jetzt schon ausfüllte, die Arbeit vollenden zu können. Aber während er auf dem Boden hockte und seine Knie zu beiden Seiten seines Gesichts hochstanden, kamen sogar Gefühle hinzu, Gefühle des Widerstands, die ihm neuartig schienen. Er keuchte und begann zu schwitzen am ganzen Körper. Immer wieder dachte er: Ich kann es nicht, ich kann es nicht, und putzte weiter. Mit den Händen entfernte er die nassen Staubschlieren, die an den Außenrändern des Putzlumpens sich sammelten, und warf sie in den Mülleimer, wobei er versuchte, nicht aufstehen zu müssen. Er traf in seiner hockenden Haltung die Öffnung des Mülleimers nicht, und die wurstartig zusammengezogenen, mit Wasser vollgesaugten Staubschlieren klatschten daneben auf den Boden, oder, was Abschaffel noch mehr ärgerte, eine dieser Schlieren traf zwar mit einem Ende den oberen Rand des Mülleimers, der Rest aber klebte an dem Mülleimer außen entlang nach unten. Etwa eine halbe Minute hockte er bewegungslos da und betrachtete den klebenden Staubklumpen und überlegte, was er jetzt tun sollte; nein, er überlegte nicht, er konnte gar nicht überlegen, er haßte bloß den Klumpen und wollte ihn entfernt wissen, ohne eine Bewegung zu tun. Warum schwitze ich denn so, warum schwitze ich denn so ganz und gar widerlich, fragte sich Abschaffel, als er sich mit dem Arm über die Stirn fuhr und seinen Schweiß damit nicht entfernte, sondern nur verteilte und verwischte. Der Schweiß der Geschlechtsteile roch anders als der normale Körperschweiß, deutlicher und schärfer, und weil er in der hockenden Haltung näher als sonst mit dem Gesicht an den Geschlechtsteilen war, vermochte er dem Geruch nicht zu entgehen. Er hatte den Raum nicht einmal zur Hälfte gesäubert, da entschloß er sich zu einer Pause. Er erhob sich und sah an sich herunter; alles an ihm klebte. Im Flur betrachtete er sich im Spiegel, und er stellte fest, daß ihn das Putzen erbärmlich gemacht hatte. Die Haare klebten naß und dicht auf dem Kopf, und die Brille rutschte dort, wo sie auf dem Körper aufsaß, an beiden Ohren und auf der Nase, immerzu nach vorn.
    Endlich geriet Abschaffel in den Zorn, der zur zuverlässigen Ausführung idiotischer Arbeit nötig ist. Er schritt zurück zu dem Eimer, holte den Lumpen heraus und warf ihn, daß das Wasser spritzte, in die Küche. Ohne Besinnung, aber Zug um Zug putzte er den Raum zu Ende, dazu den Flur und sogar das kleine Badezimmer. Er achtete darauf, daß in ihm keine Phantasie aufkam und kein Gedanke und kein Wunsch, und tatsächlich gelang es ihm, in einer kleinmütigen Wut die ganze Wohnung zu säubern. Die Fläche war abgenäßt, und er schüttete das schmutzige Wasser in die Klosettschüssel und wrang den Putzlumpen aus. Seine blöde Energie reichte sogar noch hin, mit spitzen Fingern in den Putzlumpen hineinzufassen und kleine Haarbündel, die er aufgewischt hatte, herauszuziehen und sie ebenfalls in die Klosettschüssel zu werfen. Er atmete heftig, als er fertig war und um sich sah, und weil er glaubte, er hätte einen großen Kampf beendet, schämte er sich gleich wieder ob dieser Täuschung. Abschaffel trocknete sich nachlässig ab und ließ sich auf das Bett sinken. Langsam verließ ihn die Wut, und ebenso langsam erfüllte ihn ein Verlangen nach Ruhe und Schlaf, worunter er in diesem Fall Leere verstand. Kurz vor dem Einschlafen war die Wut über das Putzen abgesunken und bedeutungslos geworden; er war schon wieder fähig, sich dieser Wut lediglich zu erinnern. Er war schon im Halbschlaf, als er sich erinnerte, daß ihn die gereinigte Wohnung schon oft aus dem Haus getrieben hatte, dann verlosch sein Bewußtsein, und er war im Schlaf.
    Wahrscheinlich hätte Abschaffel noch länger geschlafen, wenn er nicht plötzlich durch mehrfaches Niesen, das sein eigenes war, aufgeweckt worden wäre. Es schüttelte ihn über die Maßen, und zugleich liefen ihm Kälteschauer, deren Anfang und Ende er nicht unterscheiden konnte, über den feuchten Rücken. Er hatte, als er sich nach dem Putzen auf das Bett gelegt hatte, die Fenster geöffnet, damit die von ihm genäßten Bodenflächen schneller trockneten. Und es war natürlich niemand dagewesen, der ihn in

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