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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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war er doch erst vor kurzem dorthin geraten? Und wie war er überhaupt auf den Baum gekommen? Es war unmöglich, einen solchen Lappen von unten hochzuwerfen. Also mußte der Lappen von oben heruntergeworfen worden sein, und das konnte wiederum nur heißen: Er mußte in einem weiten Bogen aus einem Fenster geflogen und dann in diesem Baum hängengeblieben sein. Wer aber sollte so etwas getan haben? Etwa Dr. Troogenbuck? Abschaffel sah den Arzt prüfend an, und er konnte sich nicht vorstellen, daß ein ernsthafter Arzt so etwas tun konnte. Aber vielleicht doch? Es verging die Zeit, und Abschaffel schwieg. Dr. Troogenbuck schwieg ebenfalls. Abschaffel betrachtete wieder den Lappen und sagte schließlich: Ich kann mein Leben nicht anerkennen, weil es würdelos und blöd ist.
    Als er wieder auf der Straße war, glaubte er, zu stark übertrieben zu haben. Zugleich hatte er aber das sichere Gefühl, die Übertreibungen seien endlich einmal die Wahrheit gewesen. Es war verrückt. Es war, als hätte er mit einer ihm fremden Anstrengung etwas gesagt, was er sonst mit Leichtigkeit immer bloß dachte. Die Dreiviertelstunde bei Dr. Troogenbuck hatte ihn stark angestrengt. Er ging in ein Café im Westend, um sich auszuruhen. Er fühlte sich sinnlos, das war die Wahrheit. Es erleichterte ihn, daß er sich daran erinnern konnte, etwas Wahrhaftiges gesagt zu haben. Warum war er denn wieder so aufgeweicht und grenzenlos? Es gab keinen freien Tisch im Café. Er blickte umher und überlegte, an welchen Tisch er sich setzen sollte. Er glaubte, das ganze Café auszufüllen bis an die Wände hin. Er setzte sich an den Tisch einer nachlässig gekleideten Frau, die ihn nicht beachtete. Er bestellte eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen. Er überlegte, ob er die Frau an seinem Tisch ansprechen sollte. Sie hatte ihn flüchtig angesehen. Die Bedienung brachte Kaffee und Kuchen. Den Kuchen aß er eilig auf, weil er sich davon versprach, sich dann besser zu fühlen. Er riß die Ampulle Milch auf, die seinem Kaffee beigegeben war, und dabei spritzte ihm ein wenig Milch auf die Hand. Er wischte sich langsam den Spritzer weg, und dabei fiel ihm wieder ein, daß er ein kranker Mann war. Die Frau war schlecht gekleidet, fast heruntergekommen. Wahrscheinlich wäre sie dankbar, wenn sie bei mir zu Hause baden könnte, dachte er. Oder war das nur der Anfang seiner Onaniephantasie vom schmutzigen, gebadeten und wieder schmutzigen Mädchen? Er schämte sich und trank müde seine Tasse aus. Er entschied sich dafür, nun mal eine Weile ernsthaft krank zu sein und nicht weiter so zu tun, als könne er die Krankheit zwischendurch immer wieder vergessen. Es bedrückte ihn, daß in seinem Leben das Wichtige immer so dicht neben dem Unwichtigen war. Er zahlte und ging. Er wollte heute nicht noch einmal in der Stadt herumlaufen, und deshalb setzte er sich sofort in die Bahn und fuhr nach Hause. Er würde sich auf das Bett legen und nachdenken, so lange es ging, und dann einschlafen. Kurz vor seiner Haustür löste sich ein Knopf von seinem Mantel und fiel auf die Straße. Er hob ihn auf und steckte ihn in die rechte Manteltasche. Sobald er in der Wohnung war, wollte er ihn annähen. Oben legte er den Mantel ab, warf ihn über die Stuhllehne in der Küche und suchte das Nähzeug. In einem Kaufhaus hatte er sich einmal einen kleinen Plastikbehälter mit den wichtigsten Nähutensilien gekauft. Während er es suchte, fielen ihm lauter Sätze ein, die er Dr. Troogenbuck noch hätte sagen können. Es ist die Gewißheit der Nichtigkeit, Dr. Troogenbuck, das ist es. Er fand das Nähzeug im Hutfach seines Kleiderschranks. Wir arbeiten, bis wir durchsichtig sind, hat neulich ein Kellner gesagt, Dr. Troogenbuck. Was er nicht mehr fand, war der Knopf. Er bewegte tastend eine Hand in der rechten Manteltasche, der Knopf war nicht mehr da. Und er war ganz sicher, daß er den Knopf in die rechte Manteltasche gesteckt hatte. Die Schäden werden immer als Neuerungen mißverstanden, Dr. Troogenbuck, verstehen Sie das bitte. Na schön, dann hatte er sich in der Tasche geirrt. Er suchte in der linken Manteltasche, aber auch dort war der Knopf nicht. Tief im tatsächlichen Innern habe ich immer das Gefühl, daß immer nur ein Viertel von mir lebt, Dr. Troogenbuck. War vielleicht in einer der Manteltaschen ein Loch, und war der Knopf durch das Loch nach unten in den Mantelsaum gefallen? Er fühlte den Saum entlang, er fand den Knopf auch dort nicht. Leicht erregt zog Abschaffel den

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