Abschaffel
wie viele Menschen davon lebten, daß immerzu etwas gesäubert werden mußte. Abschaffel wollte schon weitergehen, da sah er ein handgemaltes Schild im Schaufenster hängen, auf dem zu lesen war: HIER ERÖFFNET DEMNÄCHST WIEDER EINE REINIGUNG. Gleich änderte er, entsprechend dieser Information, seine Phantasien. Offenbar gibt es immer noch nicht genügend Reinigungen, dachte er, und die bestehenden Reinigungen verdienen so gut, daß sie sich von Zeit zu Zeit ganz neue Inneneinrichtungen anschaffen können. Abschaffel wußte nicht genau, ob er deswegen beruhigt oder verärgert war. Gewöhnlich beruhigte es ihn, wenn er auf dem Heimweg erfuhr, daß alles so weiterging wie immer. Er wußte nicht, warum sich dennoch ein leichter Gram in seinem Gemüt nach vorne arbeitete. Er las noch einmal das handgemalte Schild: HIER ERÖFFNET DEMNÄCHST WIEDER EINE REINIGUNG . Er sprach die Mitteilung zweimal vor sich hin, und dabei bemerkte er, daß er sie als Drohung empfand. Er stellte sich vor, was der Besitzer der Reinigung gedacht haben mochte, als er das Schild malte. Euch dummen Leuten, hatte er wahrscheinlich gedacht, die ihr so blöde vor euch hin lebt, werde ich wieder eine Reinigung bescheren, weil euch gar nichts Besseres zusteht, jawohl. Ihr seid zu einfältig und zu verschlafen für ein anderes und schöneres Geschäft! Ich hätte nämlich auch ein phantastisches Reisebüro oder wenigstens eine Boutique mit tausend schönen Sachen einrichten können, aber nein, für so minderwertige und lächerliche Menschen eröffne ich eben nur eine Reinigung, damit ihr eure blöden Hosen und eure langweiligen Röcke immer und immer wieder reinigen lassen könnt. So ungefähr, glaubte Abschaffel, habe der Besitzer der Reinigung gedacht, und all dies schien ihm in der überdrüssig-launigen Mitteilung HIER ERÖFFNET DEMNÄCHST WIEDER EINE REINIGUNG ausgedrückt zu sein. Es war eine Drohung, die ausdrückte, daß niemand zu helfen war, im Gegenteil, eine renovierte chemische Reinigung war das Äußerste an Glück, was dieser Gegend zugestanden werden konnte. So dachte Abschaffel, und schon fühlte er sich zurechtgewiesen von seinen eigenen Phantasien. Er ging weiter, und immer noch nicht hörte er auf, sich mit der Schrift auf diesem Schild zu beschäftigen. Es war ihm nicht recht, daß er so sehr von dem beeindruckt war, was er selbst gedacht hatte. Und als es ihm zuviel wurde, ging er dazu über, die Mitteilung nicht mehr als Drohung, sondern, im Gegenteil, als Entschuldigung des Reinigungsbesitzers aufzufassen. Natürlich! Der Besitzer hatte, als er das Schild malte, nicht mit den Einwohnern schimpfen wollen, sondern im Gegenteil, er war unglücklich und tieftraurig, weil er spürte, welch eine Zumutung es war, nichts als wieder eine Reinigung zu eröffnen, die eine Beleidigung für alle Menschen war, die etwas viel Schöneres und Besseres verdient hatten. Aber der Besitzer konnte eben nicht anders, dachte Abschaffel jetzt, er hatte keine Ideen und keine Kraft, und deswegen entschuldigte er sich mit diesem Schild. Entschuldigt bitte, liebe arme Menschen in dieser Gegend! Abschaffel kicherte still, und daran bemerkte er, daß auch die Entschuldigungsversion nicht stimmen konnte. So schön es gewesen wäre, wenn einer von diesen emsigen Verdienern einmal sein Geschäft entschuldigt hätte, aber das war sicher nicht zu erwarten Aber was sollte der Text sonst bedeuten, wenn er schon weder eine Drohung noch eine Entschuldigung war? Er überlegte, ob das Schild auch eine Verheißung sein konnte. Es fiel ihm ein Kind ein, das einen Gegenstand ungeschickt auf dem Rücken versteckt hält und seine Eltern raten läßt, was es sei. Die Eltern wissen, was das Kind versteckt hält, aber sie tun, als wüßten sie es nicht, weil sie sich daran freuen, daß ihr Kind ihnen etwas verheißt. War der Reinigungsbesitzer ein kindischer Mensch, der den Anwohnern eine chemische Reinigung verhieß? Kurz bevor Abschaffel seine Wohnung betrat, glaubte er endgültig, daß das Schild als Verheißung gemeint war. Jeder Anwohner in diesem Viertel wußte, daß an dieser Ecke schon immer eine chemische Reinigung gewesen war, und jeder wußte ebensogut, daß die Reinigung für alle Zukunft mit ihnen verbunden war. Weil aber genau das niemand fassen konnte (ein Leben lang blickt man auf die Schaufenster von ein paar Geschäften), weil die verschwiegene Bestürzung über diese unglaubliche Unveränderlichkeit nie nach außen drang, mußte der Reinigungsbesitzer so
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