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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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und rieb sich mit ihm die Nase, um dann erst Arme und Finger auf den Rücken zu legen. Der zweite Verkäufer steckte sich die flach gestreckten Hände in die Rückenseite seines Hosengürtels, und der dritte lehnte sich an die Möbel an und reckte eine Hüfte nach vorn, und Möbel und Menschen waren eins geworden. Abschaffel sah hin und wurde kaum satt von diesem Bild. Es waren die tollen Menschen, die immer in den Prospekten abgebildet waren. Sie zeigten ihre prächtigen Zahnreihen, ihr erstklassiges Gesichtsfleisch und ihre fehlerlosen Frisuren. Abschaffel bekam Lust, hinüberzugehen und an diesen tollen Menschen zu schnuppern. Wieder ganz anders, aber ebenso phantastisch waren die Kunden; sie torkelten erschöpft herein, kleine, kartoffelförmige Figuren, die von unscheinbaren braunen Mänteln irgendwie zusammengehalten wurden und überhaupt nicht in dieses Geschäft paßten. Einige von ihnen zeigten sofort, daß sie in diesem Geschäft gar nichts zu kaufen beabsichtigten, und die Verkäufer wußten es ebenfalls schon im voraus. Sie betraten nur den weichen Teppichboden, gingen hin und her und faßten zum Abschluß einige Waren mit den Händen an und verschwanden wieder. Die Verkäufer sahen ihnen wortlos zu, erlaubten aber das Berühren der Möbel. Abschaffel staunte. Es war für die Menschen offenbar beruhigend, neue Waren kurz anfassen zu dürfen und dann in ihrem eigenen, ganz anderen Leben weiterzumachen. Abschaffel wollte unbedingt auch einmal Waren anfassen und sehen, was sich daraus ergab. Da wurde er plötzlich von sich selber gestört. Er begann zu glauben, sein Mantel werde ihm in diesem Schnellrestaurant gestohlen oder, was wahrscheinlicher war, er sei schon gestohlen worden. Er entfernte sich aus allen Zusammenhängen, die er eben noch beobachtet und gefühlt hatte, und blickte zur Garderobe hin, und er sah seinen Mantel dort hängen, wo er ihn hingehängt hatte. Da der Mantel noch nicht gestohlen war, würde er gewiß bald gestohlen werden, und Abschaffel fühlte sich unwohl auf seinem Sitz. Allem Anschein nach war Abschaffel durch die Beobachtung der lächerlichen Kunden des Möbelgeschäfts an das Andauern seines eigenen Lebens erinnert worden, offenbar über den Eindruck der Mäntel, die die Personen trugen. Tatsächlich hätte Abschaffel in seinem eigenen Mantel, wäre er in ihm in dem Möbelgeschäft erschienen, ebenfalls die bedauernde Nachsicht der Verkäufer ausgelöst. Ungeklärt war nur, und dieser Punkt war allerdings der wichtigste, ob Abschaffel einer Wunschangst zum Opfer gefallen war, die verlangte, daß sein Mantel bitte gestohlen werde, damit er nicht so lächerlich sei wie die anderen und einmal aus seinem Leben heraustreten könne, oder ob seine Diebstahlsangst der Ausdruck eines allgemeinen Bedrohtseins war, das genau in die entgegengesetzte Richtung lief, nämlich in seinen Mantel hinein, weil er sich nur noch in ihm heimisch fühlen konnte und sonst nirgendwo.
    Jedenfalls überprüfte Abschaffel rasch, ob sein Schlüsselbund in einer seiner Hosentaschen war oder gar fern von ihm in seinem Mantel, und tatsächlich, er fand seine Schlüssel nicht; sie mußten im Mantel sein. Die dadurch zustande gekommene Steigerung des Gefühls, er könne hier nicht mehr länger sein, drängte ihn zum Zahlen. Er winkte einen der maskierten Kellner herbei, beziehungsweise er machte eine winkende Bewegung in den Raum hinein, woraufhin sich der ihm zugeteilte Kellner aus der Gleichheit der anderen löste und ihn, Abschaffel, am Tisch aufsuchte, wobei er die fertig getippte Rechnung schon präsentierte.
    Und wirklich, als Abschaffel im Mantel und wieder draußen war auf der Straße, spürte er eine Erleichterung, als sei ihm etwas lang Entbehrtes neu geschenkt worden. Er lief umher wie freigelassen, und er fühlte sich, als hätte er sich selbst getroffen und begrüße und beglückwünsche sich nun fortwährend.
     
    Am darauffolgenden Sonntag besuchte Abschaffel seine Eltern. Er stand früh auf und rasierte sich sorgfältig, und er bemerkte, daß er noch immer nicht aufgehört hatte, seinen Eltern mehr als allen anderen Personen gefallen zu wollen. Welches Hemd sollte er anziehen, welche Hose und welche Strümpfe? Er tat eine Weile so, als hätte er einen gefüllten Kleiderschrank. Tatsächlich konnte er nur zwischen den Hemden wählen; er hatte sechs oder sieben davon, und drei lagen immer frisch gewaschen zum Anziehen bereit. Ebenso war es auch mit den Strümpfen, allerdings zählten die Strümpfe

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