Abschaffel
einer Stelle ganz durch. Wie lange in sich gedrehte Schlangen lagen die Gummihandläufe neben den Lauftreppen, und es dauerte Tage, bis Handwerkertrupps ganz neue Handläufe aufgespannt hatten. Abschaffel sah es wieder, und der Anblick des durchgeschnittenen Gummis verursachte ihm Schmerzen und Übelkeit. Er konnte Durchgeschnittenes überhaupt nicht leiden. Eingeschlagenes, Niedergeworfenes oder Umgekipptes konnte er gut aushalten, nur Durchgeschnittenes nicht. Der Anblick von zerstörten Telefonhäuschen zum Beispiel hatte ihm jahrelang nichts ausgemacht, ja, sein Bewußtsein war sogar dazu übergegangen, Zerstörung und Telefonhäuschen gleichzusetzen. Jetzt diese durchgeschnittenen Gummiläufe! Er hielt sein Gesicht zur Seite, damit er nur die Steinmauer gegenüber sah, bis er unten auf dem Boden der Fußgängerunterführung angelangt war. Die Anstrengung, das Gesicht in eine Richtung abgewendet zu halten, hatte für ihn zur Folge, daß er diese Richtung gleich als neue Laufrichtung nahm; schon war er mit festeren Schritten unterwegs, da entdeckte er ein Schnellrestaurant, und er beschloß sofort, sich dort niederzulassen. Er fühlte sich erschöpft, ohne zu wissen, warum, und er ärgerte sich. Warum bin ich nur so erschöpft, ich kämpfe doch gar nicht, ich kämpfe doch gar nicht, dachte er. Er phantasierte, während er auf den Eingang des Schnellrestaurants zuging, es müßten, vielleicht von den Krankenkassen bezahlt, in der Stadt zahlreiche Helfer geben, kräftige Männer in einer gut erkennbaren Kleidung, an die man sich wenden konnte mit der Bitte, daß man festgehalten werden möchte, wenn man erschöpft war. Abschaffel wollte plötzlich gar nichts mehr selbst machen. Er wollte sich führen, setzen und füttern lassen, bitte.
Natürlich war das Schnellrestaurant, in das er eintrat, genau das falsche für ihn. Er brauchte viel zu lange, um sich beispielsweise mit der Erscheinung der Kellner abzufinden, und als er bemerkte, wieviel Zeit er darauf verwendete, schloß er seine Bemühungen, das Schnellrestaurant in allem begreifen zu wollen, rasch ab und ging beleidigt davon aus, daß man es sich wehrlos gefallen lassen mußte, von solchen Kellnern bedient zu werden. Diese kleinen Männer waren alle gleich gekleidet, sie trugen rote Westchen, schwarze Hosen und weiße Hemden, dazu am Hemdenkragen eine getupfte Fliege, sie sahen aus wie kleine maskierte Teufel aus einem Märchen, und ebenso flitzten sie auch umher und legten überall dort, wo sich ein Mensch niederließ, ein Besteck ab und flitzten weiter. Abschaffel hatte Lust, einen von ihnen anzuhalten und ihn zu fragen, warum er so eilig sei, aber es blieb beim Einfall. Abschaffel fragte nicht, dazu war er viel zu allein und eingeschlossen, und wenn er gefragt hätte, dann hätte er vielleicht auch bemerken müssen, daß das Restaurant, in dem er saß, für ihn und wahrscheinlich auch für andere ganz falsch war. Er hätte sich niemals auf ein SCHNELLRESTAURANT einlassen dürfen, im Gegenteil, ein Langsamrestaurant wäre für ihn das richtige gewesen, aber so etwas gab es nirgends. Denn die Zeit lief und lief, und niemand sagte den Besitzern von Restaurants, daß das Hauptereignis der Zeit die Langeweile war und daß man deswegen den Besuchern die Zeit ausfüllen und verlängern mußte und nicht umgekehrt.
Abschaffel sah um sich, und er erkannte, daß das Restaurant an einer Seite mit einer Glaswand abschloß, durch die der Blick frei war in ein angrenzendes Möbelgeschäft. Das gefiel ihm gut, und er wechselte den Platz und setzte sich ganz nah an die Glaswand. Der Kellner, der für seine Bedienung zuständig war, trug ihm sofort das Besteck nach, wischte den Tisch ab und verschwand, erschien jedoch gleich wieder, um zu bringen, was Abschaffel bestellt hatte, irgendein schnell aufgewärmtes Gericht, dessen Zusammensetzung ihm sofort gleichgültig wurde. Abschaffel begann zu essen und blickte hinüber in das Möbelgeschäft, und er sah drei junge Verkäufer, die gerade nichts zu verkaufen hatten, sie wippten auf den Zehenspitzen auf und nieder und lachten gemeinsam. Ein Mann betrat das Möbelgeschäft, die drei Verkäufer umringten ihn vorsichtig, und Abschaffel mußte lachen. Einer der Verkäufer deutete mit dem ausgestreckten Arm in den hinteren Raum des Möbelgeschäfts, und der Mann folgte gehend der angezeigten Richtung. Der Verkäufer mit dem ausgestreckten Arm knickte seinen Arm wieder ein, behielt den ausgestreckten Finger aber noch eine Weile bei
Weitere Kostenlose Bücher