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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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daß Hornung nach siebzehn Uhr im Büro geblieben war. Es wurde angenommen, daß er Überstunden machte, um seine ständigen finanziellen Engpässe erträglicher zu machen. Eines Nachmittags, nachdem er seit zwei Wochen manchen Abend bis spät im Büro geblieben war, erschien plötzlich Hornungs Frau mit beiden Kindern im Büro. An ihrem suchenden und erschreckten Verhalten war zu sehen, daß sie sich hintergangen fühlte und etwas herausfinden wollte. Hornung war das Erscheinen seiner Familie im Betrieb so peinlich, daß er sie rasch mit ausgebreiteten Armen durch die Tür hinausschob, draußen auf dem Flur mit seiner Frau verhandelte und die ganze Familie nach zehn Minuten wegschickte. Niemand hatte die Bedeutung dieses Vorfalls enträtseln können. Der Besuch der Ehefrau an der Arbeitsstelle des Mannes war ungewöhnlich und für die meisten Angestellten kränkend. Die Männer waren nicht bereit, sich in die Art der Kontakte, die sie zu Arbeitskollegen unterhielten, hineinsehen zu lassen. In der Regel mußte ein Angestellter seiner Familie zu Hause mehr vorspielen als seinem Betrieb, und die beiden Sorten dieser Täuschungen durften weder durcheinandergebracht noch überhaupt gestört werden. Eine solche Störung, eine erhebliche sogar, war der Besuch einer Ehefrau am Arbeitsplatz des Mannes. Die Ehefrauen durften gar nicht bemerken, daß es überhaupt zwei Sorten von Täuschungen gab. Sie sollten glauben, ihr Mann sei im Betrieb derselbe wie zu Hause und umgekehrt.
    Hornung sah sich, obwohl ihn niemand danach gefragt hatte, durch den Besuch seiner Frau unter Druck gesetzt. Er glaubte, eine Erklärung abgeben zu müssen, weil seine Bürohoheit verletzt worden war. Seine Frau hatte ihn an seinem Schreibtisch gesehen, und er fühlte sich nicht mehr souverän. Als er sich wieder an seinen Platz setzte, rief er halblaut in seine Umgebung: Sie war eifersüchtig! Sie war eifersüchtig, das dumme Ding, und hat es nicht mehr ausgehalten! Alle hörten seine Erklärung, aber niemand verstand sie. Wieso eifersüchtig? Wenn er nur Überstunden gemacht hatte, wie konnte seine Frau dann eifersüchtig sein? Tagelang war nichts Näheres herauszufinden gewesen. Aber das Büro war kein Ort für Geheimnisse. Schon nach einer Woche hatte jemand die Pein der Wahrheit entdeckt. Hornung hatte zwar wirklich Überstunden gemacht, aber er hatte Interesse daran gehabt, seine Frau in die Falle eines Mißverständnisses zu locken; sie sollte glauben, daß ganz andere Geschichten im Spiel gewesen seien. Alle Telefonleitungen aus der Firma hinaus und in sie hinein, mit Ausnahme der Telefone aus den Verkehrsabteilungen, waren nach siebzehn Uhr gesperrt. Und Hornung hatte seiner Frau nicht gesagt, wo er an den langen Büroabenden gewesen war. Wenn sie ihn nach siebzehn Uhr in der Firma erreichen wollte, nahm niemand mehr ab. Und Hornung hatte, wenn er gegen zehn Uhr abends zu Hause erschien, bedeutsam offengelassen, wo er gewesen sei. Blöde enthüllte er ihr, daß er doch lediglich Überstunden gemacht hatte, und vor den Kollegen brüstete er sich mit den ängstlichen Gefühlen seiner Frau, die sie bis an seinen Arbeitsplatz getrieben hatten. Vielleicht hatte Hornung nur zeigen wollen, daß die Abhängigkeit nach unten keine Grenzen hatte, daß es eine Person gab, deren Unglück oder Glück sogar noch von seinen Entscheidungen beeinflußt wurde. Vielleicht aber hatte die Aktion gar nicht seiner Frau, sondern den Kollegen gegolten; vielleicht hatte er den anderen zeigen wollen, daß er zwar sicher weniger Geld hatte als sie, aber im Bestand seiner Lebenschancen nicht eingeschränkt war: Seine Frau sah ihn auf Anhieb in der Rolle des Fremdgehers. Vielleicht hatte er aber auch gar nichts zeigen wollen und nur sein unseliges Hineinragen in die Welt vorführen müssen.
    Abschaffel war sich nicht darüber klar, ob die Ereignisse um Hornung die Tage im Büro unterhaltender und spannender machten oder, im Gegenteil, noch öder und noch sinnloser. Manchmal schon hatte er sich auf die neueste Fortsetzung von Hornungs Katastrophen gefreut. Das Aufregende war, daß jedermann sehen konnte, wie weit ein Angestellter herunterkommen konnte, ohne wirklich unterzugehen. Abschaffel glaubte, von Hornung himmelweit entfernt zu sein und sich auf sicherem Boden zu bewegen. Er hielt Distanz zu Hornung, ohne zu wissen warum. Manchmal nahm er es ihm im stillen übel, daß er unglücklich und hilflos war. Abschaffel wünschte, wenn ein Mensch schon unglücklich und

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