Abschaffel
und Hornung erklärte, daß ein unfallsicherer Rollstuhl auf fünf Rollen rollen müßte, weil sie dann weniger umkippten. Mörst, der Betriebsratsvorsitzende, mußte der Sache nachgehen und feststellen, daß Hornung tatsächlich recht hatte. Mörst war verpflichtet, die Firmenleitung auf diesen Mangel hinzuweisen. Für alle gab es wieder etwas, worauf sie warten konnten. Dank Hornung gab es das Rollstuhlthema. Heute, in seiner Weinlaune, hatte Hornung bereits auf ein anderes wichtiges Problem aufmerksam gemacht. Für alle Mitarbeiter gab es nur einen einzigen Fotokopierautomaten. Weil Ajax Angst hatte, das Gerät werde zuviel für die Vervielfältigung privater Schriftstücke verwendet, hatte er bei Fräulein Schindler den Schlüssel für das Gerät deponiert. Jeder, der etwas fotokopieren wollte, mußte sich bei ihr den Schlüssel holen, und außerdem mußte er in eine Liste, die ebenfalls Fräulein Schindler verwaltete, eintragen, wieviel Kopien für welche Abteilung gemacht worden waren. Die Liste war angeblich notwendig zur späteren Aufschlüsselung der Betriebskosten, aber ihr wichtigerer Zweck war die Abschreckung vor der privaten Nutzung des Geräts. Ajax glaubte, allein die Existenz der Liste werde den Gebrauch für Privatzwecke ausschließen, aber das war natürlich ein Irrtum. Jeder trug die offizielle Anzahl seiner Kopien ein und hatte dennoch Privatkopien abgezogen. Das ahnte auch Ajax, weil am Ende jedes Monats erheblich mehr Papier verbraucht als Kopien gemacht worden waren. Über den Fotokopierautomaten wickelten viele Angestellten das Gefühl ab, letzten Endes doch schlauer zu sein als der ganze Betrieb. Und dieses Gefühl mußte den Angestellten gelassen werden. Zum Glück einer Bürokraft gehörte die Überzeugung, den Betrieb jederzeit übers Ohr hauen zu können. Manchmal kam dieses Glück nur durch den Diebstahl von zehn Büroklammern zustande. Aber der alternde Ajax war über den lächerlichen Betrug seiner Angestellten verärgert. Ohne Einsicht in die kläglichen Freuden der Abhängigen sann er nach besseren Kontrollmöglichkeiten. In dieser Lage kritisierte Hornung, daß das ganze Kontrollsystem betriebswirtschaftlich gesehen ohnehin nicht effektiv sei. Durch die Deponierung des Schlüssels bei Fräulein Schindler entstanden viele Umwege und Wartezeiten; wenn Fräulein Schindler auf der Toilette oder einmal nicht an ihrem Platz war, konnte es geschehen, daß ein Kollege an ihrem Schreibtisch stand und auf die Übergabe des Schlüssels wartete. Oder es geschah, daß ein Kollege absichtlich den Schlüssel mit in die Toilette nahm. Dann gab es ein allgemeines Gezeter nach dem Schlüssel, und wenn der Kollege nach zehn Minuten aus der Toilette kam, tat er, als sei alles nur ein Versehen gewesen. Wenn also schon, erklärte Hornung, durch die Kontrolle die Betriebskosten sowohl festgehalten als auch aufgeschlüsselt werden, dann müssen in die Kostenrechnung auch diese Wartezeiten aufgenommen werden, denn Wartezeiten verkürzten zum einen die Arbeitszeit, zum anderen aber schädigten sie die Arbeit selbst; wäre es da nicht sinnvoller, sagte Hornung, die Kontrolle ganz fallenzulassen, denn dann, wenn niemand mehr warten müsse, würde auch keine Arbeitszeit mehr eingeschränkt. Das war ein betriebswirtschaftlich stichhaltiges Argument, und Hornung spürte wohl, wie sehr seine Kollegen, bis hin zu den Referenten des Chefs, beeindruckt waren. Hornungs Kritik war außerdem so angelegt, daß sie, obwohl sie einen Vorwurf an die Kollegen enthielt, sich in der Hauptsache gegen Ajax richtete. Denn immerhin hatte Hornung den Kollegen, wenn auch indirekt, Trödelei und Schlamperei vorgeworfen; dieser Teil der Kritik ging aber unter in der lautlosen Begeisterung für Hornungs Mut, für die Abschaffung der Kontrolle gesprochen zu haben. Die Kritik an den eigenen Kollegen schützte Hornung wiederum vor Ajax’ Argwohn, es handle sich nur um ein weiteres Kapitel trauriger Oppositionssucht gegen die Firmenleitung. Aus Respekt vor Hornung breitete sich für eine Weile eine achtunggebietende Atmosphäre aus. Es galt als sicher, daß einer der Referenten diesen Vorschlag demnächst Ajax unterbreiten mußte. Hornungs konstruktive, ja kostensparende Mitarbeit schützte ihn vielleicht sogar dann, wenn er anderer Dinge wegen unangenehm auffiel.
Denn Hornung hatte immer noch die etwa halb ausgetrunkene Flasche Wein gut verborgen in seinem Papierkorb stehen. Von Zeit zu Zeit schenkte er nach und versteckte die Flasche
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