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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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wässerte. Er wollte nicht von einem Hund gebissen, aber er wollte auch nicht von einem Wasserschlauch angespritzt werden. Und das Kind spritzte oft daneben, beziehungsweise es machte ihm wahrscheinlich Spaß, von hinten genau neben dem Automaten auf den Gehweg herauszuspritzen. Tatsächlich war der Platz vor dem Automaten ganz naß. Abschaffel war trotzdem sicher, daß er nicht einen neuen Automaten suchte. Das Kind war sicher leicht auszuschalten. Es war nicht vorher auszumachen, wohin es spritzen würde; es spritzte sich sogar selbst aus Versehen. Abschaffel ging auf die andere Seite der Straße. Er wollte von vorne und direkt auf den Automaten zugehen. Zunächst aber wollte er warten, bis das Kind ihn gesehen hatte. Er hatte sich überlegt, daß er das Kind, sobald es ihn zufällig mit dem Blick streifte, scharf anblicken und zugleich mit energischen Schritten über die Straße gehen würde, so daß das Kind glauben mußte, es sei bedroht. In dieser Handlungslücke, in der das Kind den Schlauch wahrscheinlich sinken ließ, wollte er sich eine Schachtel ziehen. Als es soweit war, ging Abschaffel mit festen Schritten über die Straße, und aus Ängstlichkeit und Überraschung ließ das Kind tatsächlich den Schlauch nach unten sinken und sah auf Abschaffel. Er tat dem Kind nichts, sondern zog nur eine Schachtel Zigaretten und ging nach Hause.
     
    Einige Tage später wurde in der Firma über den Angestellten Hornung gelacht. Bei einigen war in das Lachen ein wenig Verachtung beigemischt, die ihnen um so besser von den Lippen ging, weil sie ihre Verachtung für Hornung schon lange hatten ausdrücken wollen. Hornung hatte eine Flasche Wein mitgebracht, die er gegen zehn Uhr entkorkte. Er hatte allgemein zu erkennen gegeben, daß er während der Arbeitszeit trinken wolle. Die Spannung darüber, ob er es wagte, die Flasche auf den Schreibtisch zu stellen, war groß und bänglich. Fräulein Schindler sah für Hornung nach den Chefs, ob sie schon etwas von Hornungs Umtrieben bemerkt hatten oder nicht. Einige redeten ihm schon zu, es lieber nicht zu tun. Dann aber stellte Hornung die Weinflasche in seinen Papierkorb und verdeckte sie mit zerknitterten Papierbogen. Zuvor hatte er sich ein kleines Glas eingeschenkt und das Glas auf den Schreibtisch gestellt. Wenn ein Vorgesetzter erschiene und fragen sollte, wollte er sagen, es handle sich um Kamillentee. Dies streute er unter den Kollegen aus, und ein paar hielten seine Idee für eine tolle Fixigkeit. Zeitweilig gelang es Hornung, sich von dem Mann mit dem niedrigsten Ansehen in den Mann der größten Beachtung umzuwandeln. Und die anderen, die bei ihrer Verachtung blieben (ein Mann mit solchen Schulden hat den Mund zu halten: Er hat keine Haut mehr und lebt auf dem rohen Fleisch), riskierten für einige Momente, als Trottel betrachtet zu werden, weil sie nicht erkannten, daß hier ein Mensch mit Witz und Mut gegen den Trott ankämpfte und die allgemeine Öde durch ein Glas Wein auflockerte. Schon kündigte Schobert an, es ihm morgen gleichzutun. Abschaffel sah zu Hornung hinüber, und dieser prostete ihm kurz zu, als er wieder das Glas hob. Wie kam er dazu, ausgerechnet ihm zuzuprosten? Abschaffels Empfindungen für Hornung waren gespalten. Es war zu offensichtlich, daß Hornung nicht an dem Wein gelegen war, sondern an der Aufmerksamkeit, die er nun für sich hergestellt hatte. Weil Hornung zugab, daß er die schleppende Stille des Büros nicht so ohne weiteres Woche um Woche ertrug, verspürte Abschaffel eine ferne Neigung, Hornung zu bewundern. Aber Hornung verdarb sich Abschaffels mögliche Bewunderung wieder, weil er es zu sehr darauf anlegte, immer wieder im Interesse der anderen zu stehen, und das war auch für Abschaffel zu unseriös. Manchmal war es nur ein Witz, den Hornung der Stille entgegensetzte, etwa dann, wenn er schon am Montag ein frohes Wochenende wünschte. Als in der Kantine ein automatischer Pflaumenentkerner angeschafft wurde, erklärte er, daß nun, seit in der Küche die Pflaumen schneller entkernt wurden, das Stück Pflaumenkuchen auch billiger sein müsse. Das war von ihm halb witzig und halb ernst gemeint, aber immerhin lieferte sein Einfall den Gesprächsstoff für zwei oder drei Tischrunden in der Mittagspause. Aber Hornung machte nicht nur unsinnige oder halbunsinnige Bemerkungen. Eines Tages stellte er fest, daß alle Rollstühle in der Firma nicht den Sicherheitsvorschriften entsprachen. Die Rollstühle in der Firma hatten nur vier Rollen,

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