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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Stunde weiterredete, erfüllte ihn wieder mit einer tiefen Überzeugung: daß er Margot nicht sagen konnte, wer er sei. Es war unmöglich. Die Fenster waren geöffnet, draußen war sommerlich warmes Wetter, und an den Wänden in Abschaffels Zimmer flogen Schnaken und Nachtfalter entlang, und es dauerte ganz lange, bis Abschaffel denken konnte: Aha, es ist Sommer, das Ungeziefer fliegt herein. Seine Unfähigkeit, an der Unterhaltung ein haltbares Interesse zu finden, machte ihn außen und innen ganz trocken. Er wollte ununterbrochen sagen, es müsse endlich von den wirklich wichtigen Dingen geredet werden, aber er konnte selbst nicht sagen, was denn wichtig sei. Darum glaubte er wieder, er wolle lediglich vor sich selbst verschleiern, daß er mit Margot nur noch ins Bett wollte und sonst nichts mehr. Die Idee, daß es den Menschen besser geht, wenn sie einander ihre Probleme mitteilen, gehörte nicht mehr zu seinen Überzeugungen. Jeder Mensch war durch sich selbst genug gehindert, und es hatte keinen Sinn, in einem Kopf auch noch die Leiden einer zweiten Person auszubreiten. Abschaffel bemerkte, daß er Margot Verhaltensweisen anlastete, die ihr nicht anzulasten waren. Sie war niemals davon ausgegangen, daß es den Menschen bessergeht, wenn sie Paare bilden. Aber warum war er dann tief innen so ergrimmt und wütend und außen so erschöpft und gelangweilt? Er sah Margot direkt an, weil er glaubte, dadurch am ehesten seine verschwundene Teilnahme kaschieren zu können. Sie trug ein leichtes Trägerhemdchen, das die Schultern und Arme frei ließ. Er betrachtete Margots Busen, der unter dem Trägerhemd nur oberflächlich versteckt schien. Margot redete weiter. Nie bemerkte sie, wenn er sich in sich selbst zurückzog. Er stand auf und holte die zweite Flasche Rotwein, und als er an Margot vorüberging, faßte er ihr an den Busen. Margot reagierte sofort; sie zog Abschaffel zu sich herunter, und für ein paar Augenblicke lehnte sein Kopf an ihrem Oberkörper.
    Ich habe meine Tage, aber ich möchte trotzdem gestreichelt werden, sagte sie. Dann leg dich aufs Bett, sagte er, ich komme gleich.
    Als er zurückkam mit der Flasche, lag Margot auf dem Bett. Sie hatte eine Lampe ausgeschaltet, so daß nur noch die Kerze brannte. Abschaffel legte sich neben Margot und streichelte sie. Sie zog sich das Hemd aus und den leichten Büstenhalter, und Abschaffel fuhr mit der Hand über ihren Körper. Ich habe zuviel Wein getrunken, sagte sie. Das macht nichts, sagte er, der Wein ist gut. Und wirklich wurde Margot ruhig, als er dazu überging, ihr mit regelmäßigen Bewegungen den Rücken zu streicheln.
    Abschaffel dachte an das Büro. In der Kantine hatte es heute, wie immer, zwei Gerichte gegeben, ein billiges und ein teures. Das billige war heiße Lyoner mit Bratkartoffeln und Senf, es kostete drei Mark. Das teure war ein Pastetchen mit Reis und Salat, das fünf Mark kostete. Auf dem Gang zur Kantine hatte Hornung der Gruppe, in der er sich befand, spaßhaft gesagt, daß er heute nur zwei Mark in der Tasche hätte. Frau Schönböck und Fräulein Schindler griffen fast gleichzeitig zu ihrem Geldbeutel. Schließlich erhielt er von Frau Schönböck die fehlende Mark. Am Tisch herrschte Schweigen. Hornung aß Lyoner mit Bratkartoffeln, und alle am Tisch dachten darüber nach, wie es möglich sein konnte, daß ein erwachsener Mann nur zwei Mark in der Tasche hatte. Hornung war als erster mit Essen fertig gewesen, und wie ein Kind, das von der Idee nicht loskommen kann, durch die Anmeldung von Hunger auf sich hinzuweisen, sah er auf die Teller der anderen. Fräulein Schindler hatte sich die Pastete mit Reis und Salat genommen, und Hornung hatte mit Blicken schon herausgefunden, daß Fräulein Schindler nur ein wenig Reis und Salat aß, die Pastete aber kaum anrührte. Und sie spürte, daß Hornung ihre Pastete haben wollte. Und alle anderen spürten, wie gern Fräulein Schindler Hornung die Pastete überlassen hätte, wenn sie nur gewußt hätte, wie sie die Übergabe anstellen sollte. Hornung hatte es wieder fertiggebracht, daß sich alle für ihn schämten. Die Pastete sieht heute gar nicht so verkommen aus wie der Fraß sonst, sagte er. Ich esse meine Pastete sowieso nicht, sagte Fräulein Schindler sofort. Deswegen habe ich es nicht gesagt, sagte Hornung auch noch. Aber wirklich, es macht mir gar nichts aus, hatte Fräulein Schindler gesagt und ihren Teller hochgehoben, und im nächsten Augenblick ließ sich Hornung die Pastete in den

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