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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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nicht nur einen Balkon, der von zum Trocknen aufgehängter Wäsche und einer Satellitenschüssel blockiert wurde, sondern einen Garten und eine umzäunte Weide mit Zwergziegen für die Kinder und einem gescheckten Shetlandpony mit wuscheliger Mähne …
    Genau das stellte ich mir an jenem Nachmittag vor, das weiß ich noch ganz sicher. Und auch, dass ich mich traurig und ein wenig mutlos fühlte dort auf dem Bett neben Claudette.
    Ihre kleine Wohnung quoll über von neuen Markenartikeln. Seitdem sie im »Luxuria« arbeitete, trug sie nur noch Kleidung und Schmuck, die in der Cosmopolitan angepriesen wurden.
    Ich wandte meinen Blick vom Himmel ab und konzentrierte mich auf etwas Konkretes: meine Füße. Ich verteilte eine weitere dünne Schicht Hellrosa über meine Nägel, sorgfältig darauf bedacht, nicht danebenzupinseln.
    Claudette hatte ihre Fingernägel in demselben Ton lackiert. Vorsichtig blies sie über ihre Fingerkuppen und wedelte mit den Händen, wodurch ihre massiv goldenen Armbänder klirrten.
    »Meinst du, dass ich dafür geeignet bin?«, fragte ich.
    Sie hielt mit dem Pusten inne, hörte sogar für einen Moment ganz auf zu atmen und starrte mich an, als sähe sie mich zum ersten Mal. Sie musterte mich mit ihren hellgrünen Augen – ein fast professioneller Blick. »Meiner Meinung nach besitzt du gute Menschenkenntnis«, begann sie. »Und die braucht man. Man muss die Männer richtig einschätzen können.«
    »Wieso?«
    »Du musst dir vorstellen können, was sie wollen, weshalb sie kommen. Denn sie sind alle verschieden. Du musst in ihnen lesen können, verstehst du?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich meine, ich glaube schon, dass ich sie einschätzen kann, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich – ob ich einfach so mit jedem könnte.«
    Claudette sah mich weiterhin unverwandt an, taxierend, abwartend. »Das weißt du erst, wenn es so weit ist. Ich sage es dir gleich: Seelisch ist es schwieriger als körperlich. Die meisten glauben, es sei genau umgekehrt.«
    »Davon habe ich schon mal gehört.«
    »Aber du weißt nicht alles.«
    Das machte mir ein wenig Angst. »Was hast du mir bis jetzt verschwiegen? Ist es gefährlich?«
    »In einem Club? Nein, kaum. Meistens ist es sogar ganz nett.« Sie wandte den Blick nicht von mir ab. »Aber man macht doch einiges mit, da muss man durch. Es ist kein Job im Supermarkt.«
    »Deswegen verdient man ja auch mehr.«
    »Du denkst also ernsthaft darüber nach? Oder soll das ein Witz sein?«
    Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. Ich fühlte mich unbehaglich. »Ich weiß nicht – ich frage mich nur, ob ich geeignet dazu bin. Ob ich es kann.«
    »Probieren geht über studieren. Du findest es schon schnell genug heraus.«
    »Probieren?«
    »Ich kann dich ja mal mitnehmen. Wie wär’s mit heute Abend?«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schon allein der Gedanke daran ließ meinen Atem schneller gehen. »Darfst du das denn so ohne Weiteres? Sind deine Chefs damit einverstanden?«
    »Hast du ’n Knall? Die sind heilfroh, wenn ich jemanden mitbringe. Henk jammert andauernd, er hätte zu wenige Mädchen. Und ich kann dir schon mal so viel erzählen, dass du nicht die Erste bist, die aus Neugier mitkommt und dann als Kollegin bleibt.«
    »Aber … Ich brauche doch nicht sofort … oder …?«
    »Das musst du selber wissen. Niemand zwingt dich dazu.«
    Jetzt wurde es wirklich ganz konkret. Heute Abend schon.
    Ich versuchte, das Nagellackfläschchen zuzuschrauben, schaffte es aber nicht. Ich zitterte so stark, dass ich beinahe etwas verschüttet hätte.
    Claudette nahm mir die Flasche ab, drehte sie energisch zu und stellte sie auf das Nachtschränkchen. Dann sah sie mich wieder an. »Bist du wirklich so weit, Claire? Denn weißt du, es ist eine lohnende Arbeit. Ich würde es nicht anders wollen. Einerseits ist es leicht verdientes Geld, aber manchmal gibt es auch Schwierigkeiten. Zum Beispiel, wenn die Kerle von einem Moment auf den anderen anfangen, dich zu beschimpfen – solche Sachen. Du musst schon einiges aushalten können. Und ich weiß nicht, ob du, wo doch dein Vater gerade erst …«
    »Mach dir darüber mal keine Sorgen«, erwiderte ich gespielt tapfer. »Ich weiß nur nicht so recht, wie ich es anfangen soll. Was sagt man zu so einem Mann, was macht man? Was zieht man eigentlich an? Die eigenen Kleider?«
    Claudette lachte laut auf. »Der Anfang ist nicht das Problem. Wirklich nicht, glaube mir. Weißt du, was das wirkliche Problem ist?«
    Ich

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