Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
Vom Netzwerk:
mit ein paar Nadeln hoch. Anschließend öffne ich den Reißverschluss der dicken Jacke und ziehe sie aus, was im Sitzen gar nicht so einfach ist.
    Als ich mich endlich aus den Ärmeln gewurstelt habe und die Jacke neben mir auf dem Beifahrersitz liegt, geht die hintere Tür auf und jemand rutscht auf die Rückbank. Mit einem Ruck setze ich mich auf.
    Im Rückspiegel blicke ich Marius genau in die Augen.

18
    Unser Kundenkreis bestand hauptsächlich aus Männern, die es sich leisten konnten, mit Geld um sich zu werfen, hauptsächlich Geschäftsleute, die abends ausgingen oder bei uns auf einen Erfolg anstoßen wollten. Rein äußerlich waren es ganz normale Männer, die das »Luxuria« besuchten, meist im Alter zwischen vierzig und sechzig. Sie unterschieden sich in nichts von den Kerlen, denen man in den normalen Clubs und Kneipen begegnet. Mit einem Unterschied: Sie kamen alle mit derselben Absicht.
    Nachdem sie sich in das rote Leder hatten sinken lassen, wanderten ihre Augen fieberhaft umher. Auf der schummrigen, etwa fünfzig Quadratmeter großen Tanzfläche, auf der jeden Abend Sades Your Love is King aus den Lautsprechern plätscherte, durften sie ungeniert Fleischbeschau halten. Sie konnten die Ware begutachten, betrachten, befummeln und gegen Bezahlung benutzen. Während des Kennenlernens, das wir an ruhigen Abenden so lange wie möglich hinauszuzögern versuchten, um die Getränkerechnung in die Höhe zu treiben, benahmen sich die Freier mal ausgelassen, mal sehr schüchtern, mal interessiert, mal selbstherrlich, philosophisch oder einfach geil und ordinär. War man dann einmal mit so einem Mann allein, verhielt er sich manchmal völlig anders als unter den Blicken seiner Freunde oder Geschäftspartner.
    In diesem Beruf entwickelte man sehr schnell empfindliche Antennen, und meine Antennen begannen an jenem Abend, als Marius zum ersten Mal hereinkam, spontan zu vibrieren. Männer wie Marius machten Frauen wie uns nervös. Bei seinem Erscheinen blickten wir einander forschend an: Wer traut sich? Freiwillige?
    Ich war in keiner wagemutigen Stimmung. Tags zuvor hatte ich mir eine leichte Erkältung zugezogen und wollte eigentlich nach Hause. Natascha hatte Krach mit ihrem Freund gehabt und war ungenießbar. Anneke war die Einzige, die außer uns beiden noch frei war. Sie war neunzehn, genauso alt wie ich, hatte aber erst zwei Wochen Erfahrung.
    Die Art und Weise, wie er an die Theke ging und sich umsah, bestätigte, was ich von vornherein vermutet hatte: Gefahr im Verzug. Er trug einen gefälschten italienischen Anzug, der ihm ausgezeichnet stand, doch vermutlich hätte er in einem T-Shirt wohl genauso respekteinflößend ausgesehen. Seine Begleiter, zwei sehnige Typen, bildeten nicht mehr als den Hintergrundchor in seinem Schatten. Er war der Star des Abends, alle Spots waren wie von selbst auf ihn gerichtet. Er trug ein ständiges Grinsen auf seinen etwas zu vollen, fast weiblichen Lippen, und seine kalten, tief liegenden Augen nahmen seine Umgebung amüsiert und zugleich wachsam auf.
    »Griechisch«, murmelte Natascha neben mir und zündete sich eine Zigarette an. »Wetten wir um fünfundzwanzig Gulden?«
    »Ich wette um gar nichts«, antwortete ich abwesend.
    Neugierig betrachtete ich ihn. Ganz kurz trafen sich unsere Blicke, und obwohl ich bis zu diesem Moment geglaubt hatte, ich sei einiges gewöhnt, erschrak ich vor der Intensität, mit der er mich musterte. In seinen Augen las ich Gegensätzliches: Beruhigung, Gefahr, Lust, düstere Abgründe.
    »Griechisch oder irgendwas anderes, das wehtut oder zu dreckig ist, um es auszusprechen«, fuhr Natascha fort und zog an ihrer Zigarette. Langsam blies sie den Rauch aus und nebelte ihre roten Locken mit einem Qualmvorhang ein. »Wie dem auch sei: Ich passe.«
    Natascha hatte drei Jahre mehr Arbeitserfahrung als ich, und die Chancen, dass sie recht hatte, standen gut. Wenn ein Mann mit einem solchen Aussehen wie Marius gesegnet war, musste er auch außerhalb unseres Etablissements einschlägige Angebote erhalten, und zwar gratis. Wenn also ein solcher Mann Geld dafür hinblätterte, war er garantiert nicht auf der Suche nach dem Üblichen.
    Denn je reicher, jünger und hübscher, desto extremer die Wünsche. So war es schon immer gewesen, und es gab keinen Grund, anzunehmen, dass es diesmal besser sein würde.
    »Meinst du wirklich?«, fragte Anneke – »Sheila« für ihre Kunden.
    Ich nickte. »Natascha hat recht. Der ist nichts für dich. Lass die Finger von

Weitere Kostenlose Bücher