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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Mann, den ich je gekannt habe, hat sich derart intensiv mit Strukturen und unbedeutenden Zahlen und Fakten beschäftigt. Doch im Laufe der Jahre habe ich eingesehen, dass von den Männern, die ich gekannt habe, auch keiner gutes »Ehemannmaterial« abgegeben hätte, um es einmal auf die amerikanische Art auszudrücken. Harald dagegen sehr wohl. Das beweist er mir seit acht Jahren jeden Tag aufs Neue.
    Also nehme ich seine Nörgelei über Zahlen vor und nach dem Komma, Mappen, Tabellen und Kalkulationen als gegeben hin und lasse ihn soweit wie möglich in Ruhe, wenn er arbeitet. Aber heute treibt er es doch ein wenig zu bunt. Seitdem er nach Hause gekommen ist, haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt.
    »Harald?«
    Verstört blickt er auf, lässt die Lesebrille sinken und sieht mich an. Das weiche Licht der englischen Wandlampe fällt auf eine Seite seines Gesichts. »Sag mal, du hast also doch für letzten Samstag den Partyservice kommen lassen?«
    »Ja. Wieso?«
    »Warum hat du das getan?«
    »Weil ich zu wenig Zeit hatte, um mich selbst um alles zu kümmern. Du weißt doch, dass ich meiner Mutter versprochen hatte, sie zu besuchen.«
    Er greift nach einem Stapel Post und zieht ein wenig gereizt ein DIN -A4-Blatt heraus. Dann setzt er die Brille wieder auf und hebt das Kinn. »Meine Liebe, ich habe hier eine Rechnung von über zweitausend Euro, zweitausendeinhundertfünfzig, um genau zu sein.« Mit einer aufgebrachten Bewegung nimmt er die Brille wieder von der Nase und sieht mich verärgert an. »Ein bisschen viel, findest du nicht, für eine Party mit zwanzig Leuten? Ist dieser Kees de Boer denn völlig übergeschnappt?«
    Ich hebe die Hände. »Tut mir leid. Meine Schuld. Ich befürchte, das liegt an dem Taittinger und dem Blauflossenthunfisch. Dazu die Antipasti …«
    »Wie dem auch sei. Hast du dich denn vorher bei dem guten Mann erkundigt, was es ungefähr kosten würde?«
    Ich schüttele den Kopf und schlage die Augen nieder. Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen, nach dem Preis zu fragen, aber das werde ich Harald nicht auf die Nase binden. De Boer übernimmt öfter das Catering, wenn ich wenig Zeit habe oder mich unsicher fühle und kein Risiko eingehen will. Diesmal habe ich mich von diesem aalglatten Typen aber offensichtlich übers Ohr hauen lassen.
    »Das nächste Mal werde ich darauf achten.«
    »Du brauchst diesen de Boer doch gar nicht. Du kannst das alles doch selbst ganz wunderbar«, sagt er leise. Seine Stimme klingt wie die eines enttäuschten Vaters, der sein Kind beim heimlichen Rauchen erwischt hat. Dann steckt er die Rechnung wieder zwischen die anderen in dem Stapel.
    Einen Moment lang bleibe ich stehen, unschlüssig, in Erwartung des unvermeidlichen Schlusswortes, aber offenbar hat er das bereits ausgesprochen.
    »Ich gehe jetzt ins Bett«, sage ich, kehre wieder zurück in die Diele und steige die Treppe hinauf. Harald kann manchmal ein schrecklicher Pfennigfuchser sein. Und launisch außerdem: Mal höre ich kein Wort über eine kostspielige Anschaffung, dann wieder kann er sich über einen Betrag von hundert oder zweihundert Euro aufregen. Morgen wird die Sache schon wieder vergessen sein. Außerdem habe ich momentan wirklich größere Sorgen als so eine dämliche Rechnung.
    Im begehbaren Kleiderschrank, der an unser Schlafzimmer angrenzt, ziehe ich mich aus und werfe meine Strumpfhose und meine Unterwäsche in den Wäschekorb. Meinen Rock hänge ich wieder auf den Kleiderbügel, und die Bluse lege ich in einen Plastikkorb, der neben dem Tresor auf dem pastellgrünen Fußboden steht. Der Korb ist schon ziemlich voll, wie ich sehe. Ich muss wohl bald mal wieder in die Reinigung, ich sollte es nicht mehr lange vor mir her schieben.
    Ich nehme ein langes, graues T-Shirt aus einem Regal und ziehe es über. Es ist potthässlich, aber in frisch gewaschener Baumwolle schläft man einfach am allerbesten. Ich besitze mindestens zehn Satinnachthemden in verschiedenen Farben und Längen. Harald kauft sie für mich, aber ich trage sie selten. Sie erinnern mich an früher. Sie gehören nicht hierher. Nicht in dieses Schlafzimmer, nicht in dieses Leben und schon gar nicht in diese Ehe.
    Harald ist davon überzeugt, dass ich es nicht mag, mich im Schlafzimmer übertrieben aufreizend anzuziehen. Die Erregung ist daher umso größer, wenn ich es dann und wann einmal tue.
    Und eines muss gesagt sein: Für einen Kerl mit buchhalterischer Zwangsneurose und Lesebrille kann er überraschend

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