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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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kreativ sein. Dabei bleibt er jedoch innerhalb eines gesunden Rahmens und hat mich, ohne es zu wissen, gelehrt, dass es einen Unterschied zwischen Sex und körperlicher Liebe gibt. Dazwischen liegen Welten. Man mag für Harald eine Gebrauchsanweisung benötigen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich es nicht besser hätte treffen können.
    Aber heute Nacht will ich schlafen. Ich schlucke zwei Tabletten mit ein wenig Wasser, schlüpfe zwischen die Laken und schalte das Licht aus.

17
    Ich sehe lächerlich aus in dem cremefarbenen, wattierten Mantel, der mir bis an die Knie reicht. Ich habe ihn gestern in einem Billigladen gekauft, ebenso wie den Rest meiner merkwürdigen Verkleidung. Das Ungetüm ist quer abgesteppt, sodass selbst eine schlanke Frau darin aussieht wie ein Michelin-Männchen. Im Grunde gleicht er eher einer wasserabweisenden Bettdecke mit Ärmeln, denke ich säuerlich, als ich mein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe erblicke. Ein langer Jeansrock lugt unter dem steifen Saum hervor, und meine Füße stecken in ein paar praktischen beigefarbenen Halbschuhen. Sie sind so flach, und das Fußbett ist so weich, dass das Laufen in ihnen mühsamer ist als auf hohen Absätzen. Ich habe das Gefühl, bei jedem Schritt hintenüber zu fallen, und kompensiere das, indem ich mich nach vorn lehne, als hätte ich Gegenwind.
    Um meinen Hals habe ich ein Tuch mit Hufeisenmuster geschlungen, und auf dem Kopf trage ich einen Strickhut mit schmaler Krempe. Normalerweise ist mein Haar locker hochgesteckt, aber heute habe ich es straff nach hinten gekämmt und auf dem Rücken zu einem kurzen dicken Zopf aus blondmelierten Haaren geflochten.
    In einem Schaufenster auf der anderen Straßenseite erblicke ich erneut mein Spiegelbild. Zu Hause dachte ich, dass ich in diesem Aufzug ohne Weiteres als fromme Landpomeranze aus einem der umliegenden Dörfer durchgehen könne. Jetzt befürchte ich, dass ich übertrieben lächerlich aussehe, als sei ich gerade aus einer Einrichtung entlassen worden.
    Doch obwohl die Kleidung vielleicht nicht ganz den Effekt erzielt, den ich damit erreichen wollte – die Wirkung bleibt dieselbe. Sollte ich einem Bekannten begegnen und es mir dabei gelingen, Blickkontakt zu vermeiden, stehen die Chancen gut, dass ich nicht erkannt werde. Wahrscheinlich erkennt mich nicht einmal Marius. Das geheime Handy steckt in einer der Manteltaschen. Heute Morgen, nachdem ich die Kinder zur Schule gebracht hatte, habe ich es zum ersten Mal wieder eingeschaltet. Ich bin davon ausgegangen, dass es mindestens zehn unbeantwortete Anrufe auflisten würde oder unzählige wütende SMS , aber nachdem der Apparat sich mit einem melodiösen Klingelton beim Provider angemeldet hatte, geschah zunächst gar nichts. Ich rechnete mit einer Verzögerung, schließlich war das Handy längere Zeit ausgeschaltet gewesen, aber auch nach einer halben Stunde hatte sich auf dem Display nichts getan. Und das blieb auch so.
    Marius hat nicht versucht, Kontakt mit mir aufzunehmen.
    Der städtische Hafen liegt einige Meter unterhalb des Straßenniveaus und ist nur durch eine etwa einen Meter hohe, alte Mauer und von einem mehrere Jahrhunderte alten Gebäude vom Markt getrennt. In dem alten Haus befindet sich eine Weinhandlung, bei der Harald Stammkunde ist. Vom Markt aus kann man den kleinen Hafen kaum sehen; nur die Masten der Segelboote, die Antennen und Flaggen verraten, wo er liegt.
    Ich gehe an der Stadtmauer entlang in Richtung Hafen. Auf diese Weise meide ich den Markt, an dem die Restaurants und Cafés liegen, und brauche nicht an Ravelin Immobilien vorbeizugehen. Für einen Moment bedauere ich, dass ich ein Treffen so früh am Morgen erzwungen habe, aber dann fällt mir ein, dass die Lokale und Geschäfte um diese Zeit größtenteils noch geschlossen sind und erst gegen zehn Uhr öffnen. Abends ist es hier wesentlich belebter, vor allem in den Sommermonaten.
    Neben einem Laternenpfahl steht eine dunkelgrüne Bank mit dem Rücken zum Markt. Ich nehme darauf Platz und schlage die Beine übereinander, bis mir einfällt, dass eine solche Haltung möglicherweise zu frivol sein könnte für eine Frau in einem wasserabweisenden Deckbett und Gesundheitslatschen. Stattdessen stelle ich die Füße unsicher nebeneinander auf die Pflastersteine.
    Marius hat nicht gesagt, wie das Boot heißt. Er hat nur verraten, dass es eine Motoryacht ist und er von dort aus Haralds Firma sehen kann. Letzteres war ein Bluff, denn die Boote liegen zu tief

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