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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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versprochen habe, Claire in Ruhe zu lassen, und so dumm bin, mich an mein Wort zu halten, habe ich keine andere Wahl, als bei dir anzuklopfen.« Er sieht mich eindringlich an. »Du tust mir wirklich leid, aber es ist zu viel Geld, um die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
    »Ich will, dass du weggehst«, wiederhole ich.
    Er zieht einen Mundwinkel hoch und lacht mich lautlos aus.
    »Ich meine es ernst.« Ich springe von meinem Bürostuhl auf und marschiere auf ihn zu. Ich überrage ihn um Einiges.
    Er blickt zu mir auf, schnauft und wirkt trotz meiner Wut und meinem aggressiven Auftreten nicht im Mindesten eingeschüchtert. Das ist wirklich der Gipfel der Arroganz!
    Mickriger Hänfling, schießt es mir durch den Kopf. Ordinärer Scheißkerl.
    Geh weg, geh weg, geh weg!
    »Geh weg«, sage ich.
    Marius bleibt seelenruhig sitzen.
    Ich packe ihn an der Schulter. Sie fühlt sich steinhart an. Eine Statue im Anzug. Aber er jagt mir keine Angst ein. Nicht mehr. Das hier ist mein angestammtes Territorium, meine Firma. Ich will diesen Mann hier nicht haben, ich will, dass er geht. Wenn nicht freiwillig, dann unfreiwillig. Ich lasse mir doch in meinem eigenen Büro keine Vorschriften machen!
    Er blickt verächtlich meine Hand an, als sei auf seiner Schulter eine Schmeißfliege gelandet, und wirft mir dann einen finsteren Blick zu. »So, wollen wir handgreiflich werden, van Santfoort? Das halte ich nicht für einen besonders klugen Schachzug.«
    »Ich will, dass du abhaust, sonst versetze ich dir einen Tritt in den Hintern, dass du die Treppe runterfliegst«, sage ich und zerre so kräftig an seinem Jackett, dass die Nähte krachen. »Raus aus meinem Büro! Und zwar sofort!«
    Erschreckend schnell springt Marius auf, packt mich im Nacken und rammt mir zugleich mit voller Wucht die Faust in die Magengrube. Ein einziger, knallharter Hieb, bei dem mir sofort die Luft ausgeht.
    Geräuschlos klappe ich zusammen und gehe in die Knie. Bevor ich auf dem Boden aufkomme, werde ich aufgefangen, und Hände wie Schraubstöcke umklammern meinen Oberkörper.
    Marius schleift mich zurück zu meinem Schreibtisch. Mit einem Fuß zieht er meinen Bürostuhl heran, lässt mich los und versetzt mir einen Schubs. Ich falle rückwärts auf den Sitz. Mein Kopf schlägt hintenüber.
    »Hinsetzen, habe ich gesagt!« Er keucht nicht mal. »Und jetzt hör mir mal gut zu!«
    Ich habe das Gefühl, mich übergeben zu müssen, aber es kommt nichts heraus. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals solche Schmerzen gehabt zu haben. Ein brennendes Ziehen, das sich von meinem Magen aus über den ganzen Körper ausbreitet.
    »So, kann ich jetzt weitermachen?«, fragt er. Seine Stimme hat sich in Tonfall und Lautstärke kaum verändert.
    Leise stöhnend hebe ich den Kopf und sehe durch einen Tränenschleier, wie Marius seelenruhig alle Schränke öffnet und den Inhalt inspiziert.
    »Aha, da gibt’s ja doch was zu trinken.«
    Er schenkt zwei Gläser Whiskey ein. Eines stellt er achtlos vor mich auf den Schreibtisch. Dann nimmt er in seinem Sessel Platz und hebt sein Glas an die Lippen.
    Ungeduldig nickt er mir zu. »Jetzt trink schon, Mann! Das hilft.«
    Ich schüttele den Kopf, reibe mir über die Magengegend und inspiziere ängstlich meinen Bauch. Erstaunlich, dass ich nicht literweise Blut verliere. So große Schmerzen, aber kein Tropfen. Ich glaube, ich habe keinen Laut von mir gegeben.
    »Ich kann dich gut verstehen«, sagt er. »Das ist ja auch keine Kleinigkeit, mit der du so plötzlich fertigwerden musst. Aber trotzdem musst du jetzt einen klaren Kopf behalten. Ich habe heute noch anderes zu tun.«
    Die rohe Gewalt hat eine ernüchternde Wirkung. Allmählich löse ich mich aus meiner düsteren Trance. »Wo … Worum geht es eigentlich?«
    »Um gut zweihunderttausend. Zweihundertzwanzigtausend Euro.«
    Ich schüttele ungläubig den Kopf.
    »Ich bin bereit, die Summe nach unten abzurunden«, fährt er fort. »Ich bin schließlich kein Unmensch. Aber dafür musst du die Kohle möglichst schnell rausrücken.«
    »So viel Geld habe ich nicht.«
    Er trinkt einen Schluck. »Dein liebes Frauchen möglicherweise schon.«
    »Ausgeschlossen«, erwidere ich.
    »Ach ja?«
    Ich starre gedankenverloren ins Leere, an Marius vorbei auf ein altes Gemälde von einem Ackergaul, der einen Pflug zieht. Noch nie zuvor ist mir aufgefallen, wie grau der Himmel im Hintergrund ist, wie schlammig das Feld, auf dem das Pferd und sein Besitzer arbeiten.

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