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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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diese dunklen Wolken verursacht hat, die sich über seinem Kopf zusammengeballt haben. Ich kann nicht einfach alles auf sich beruhen lassen und warten, bis es von selbst vorübergeht: Harald neigt dazu, relativ schnell in eine Depression abzugleiten, gerade weil er nicht gerne über das redet, was ihm auf dem Herzen liegt. In seinem düsteren inneren Dialog ist er meistens blind dafür, wie er selbst etwas ändern könnte. Dann dreht er sich hoffnungslos im Kreis und versinkt immer tiefer im Elend. Irgendetwas ist geschehen, das ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Vermutlich am Donnerstag, als er in Amsterdam übernachtet hat.
    Leise schleiche ich die Treppe hinunter. Unten öffne ich die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Ich betrete es selten, im Grunde nur, um sauberzumachen, und auch das kommt nicht häufig vor, weil Harald es meistens selbst in Ordnung hält. Der Pferdestall ist meine Domäne, dieses Zimmer ist Haralds Territorium. Hier herumzuschnüffeln, während er schläft, fühlt sich wie ein Einbruch an. Aber es muss sein. Wenn ich irgendwo etwas finden kann, das mich weiterbringt, dann nur hier.
    An der Tür bleibe ich stehen, schalte das Licht ein und blicke mich um. Elfenbeinweiße Einbauschränke mit schmalen Holztüren bedecken die ganze linke Seite und die Wand hinter Haralds Schreibtisch. Rechts befindet sich das Fenster, vor dem die ebenfalls elfenbeinweiße Jalousie heruntergelassen ist. Der Fußboden ist mit hellgrünem Teppichboden ausgelegt, und auf dem antiken englischen Schreibtisch steht eine Kupferschreibtischlampe. Ansonsten ist die mit Leder eingelegte Oberfläche leer.
    Gestern Abend hat sein Laptop aufgeklappt vor ihm gestanden. Hat er sich Pornoseiten angesehen? Ist er im Internet einer Frau begegnet, mit der er ein Verhältnis angefangen hat? Ich kann kaum glauben, dass ich solche Dinge auch nur in Erwägung ziehe. Ich erkenne einen sexuell erregten Mann, und Harald wirkte gestern ganz und gar nicht so. Eher bedrückt und niedergeschlagen. Wenn er tatsächlich mit einer Freundin gemailt oder gechattet hat, muss sie sehr schlechte Nachrichten für ihn gehabt haben.
    Ich setze mich auf seinen Schreibtischstuhl und probiere eine nach der anderen die Schubladen aus. Seinen Laptop finde ich in der mittleren, genau unter der Arbeitsfläche. Ich nehme den dunkelgrauen Rechner heraus, klappe ihn auf, schalte ihn an und gebe das Passwort ein. Harald benutzt immer und überall dasselbe: Fleurcharlotte. Dann klicke ich auf das Explorer-Icon und sehe mir als erstes seinen Internetverlauf an.
    Ich fühle mich, als spioniere ich meinem eigenen Mann hinterher; eine Einbrecherin in meinem eigenen Haus. Das Herz klopft mir bis zum Hals, und ich atme schnell. Unwillkürlich kontrolliere ich die Uhrzeit. Viertel vor sieben. Oben scheint noch alles ruhig zu sein.
    Harald hat Google aufgerufen, den Marktplatz, verschiedenen Maklerseiten, das Telefonbuch, die Seite der Rabobank, den Jaguarhändler, einige Antikhändler und Architekten – aber weder eine Dating- noch eine Pornoseite.
    In Google gebe ich die ersten Buchstaben einiger sexuell angehauchter Suchwörter ein, um auszuprobieren, was die automatische Ergänzungsfunktion damit anstellt. Kein Ergebnis. Harald hat nur nach vollkommen unschuldigen Begriffen suchen lassen. Ich fühle mich von Sekunde zu Sekunde schäbiger, fast eklig, weil ich so schlecht über ihn denke. Haralds Laptop ist bis jetzt ein Musterbeispiel an Bravheit.
    Ich öffne das E-Mail-Programm und sehe mir die Nachrichten im Posteingang an. Es sind nur wenige, die meisten davon geschäftlich. Nichts Auffälliges. Dasselbe gilt für die ausgehenden Nachrichten. Im Papierkorb finde ich ebenfalls keine E-Mails, die Haralds sonderbares Verhalten erklären könnten.
    Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht und denke nach, während ich das Foto betrachte, das Harald schon seit ewigen Zeiten als Hintergrund benutzt: eine Schwarzweißaufnahme des Firmensitzes.
    Allmählich sieht es tatsächlich danach aus, als sei in seinen Laptop nichts zu finden. Aber warum hat er dann gestern Abend so erschrocken und heimlichtuerisch reagiert? Ich beschließe, in seinem Papierkorb nachzusehen, öffne aber in einer Eingebung zuerst Word. In der rechten Spalte führt das Programm eine Liste der Dokumente auf, die Harald zuletzt geöffnet hat. Das erste heißt Claire.doc.
    Ich klicke es an. Im nächsten Augenblick starre ich reglos und mit offenem Mund auf den Monitor.
    Meine Augen huschen über den

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