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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Schreibtisch und pfeffert es quer durchs Zimmer. »Gott verdammt noch mal!«
    Je unkontrollierter Harald wird, desto ruhiger und beherrschter werde ich selbst. Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung. Ich denke klar, ich sehe klar, ich knüpfe blitzschnell Zusammenhänge.
    »Marius ist mein Exfreund. Wir haben uns vor zehn Jahren getrennt«, erkläre ich. »Als ich dich kennengelernt habe, hatte ich ihn schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Er ist unwichtig. Dir von ihm zu erzählen, war nicht notwendig.«
    »Nicht notwendig? Und du fandest es …«, seine Stimme überschlägt sich vor Aufregung, und Spucketröpfchen sprühen auf mein Gesicht, »… auch nicht notwendig, mir zu erzählen, dass du in einem Puff gearbeitet hast?«
    »Nein. Fand ich nicht.«
    Er schüttelt ungläubig den Kopf, verdreht voller Verzweiflung die Augen. »Sie leugnet es nicht einmal!« Er ballt die Faust und schlägt gegen die Wand. Schreit die Tapete an: »Es stimmt, verdammter Mist!«
    Ich trete einen Schritt nach vorn und sage so ruhig wie möglich: »Dieses Leben habe ich hinter mir gelassen, als ich hierherkam. Ich will nichts mehr damit zu tun haben, es ist Vergangenheit. Vorbei.«
    »Vorbei? Nun – dein altes Leben ist dir verdammt noch mal nachgelaufen!« Streitsüchtig drückt er das Kinn auf die Brust, schnauft laut durch die Nase ein und aus, und seine Augen treten fast aus den Höhlen.
    Ich habe ihn schon öfter zornig erlebt, aber noch nie so sehr. Dennoch weiche ich nicht vor ihm zurück. Keinen Zentimeter. Ich habe keine Angst vor Harald und werde auch nie welche haben.
    »Und weißt du, was er von mir wollte, dein ordinärer Zuhälter?«
    »Er war nicht mein Zuhälter.«
    »Lass mich ausreden, gottverdammt!«, brüllt er und stampft auf den Teppichboden, dass die Holzdielen dröhnen.
    Er reißt seinen Morgenmantel vom stummen Diener, marschiert aus dem Zimmer hinaus und poltert die Treppe hinunter.
    »Wo willst du hin? Was will er?«, rufe ich Harald hinterher.
    Er antwortet nicht. Ich renne ihm über die Treppe nach und finde ihn in der Küche. Er hält ein Glas gegen den Eiswürfelbereiter, füllt es anschließend mit Wasser und setzt sich an den Küchentisch.
    Behutsam ziehe ich einen Stuhl ihm gegenüber unter dem Tisch hervor und setze mich. »Was will er? Was will er, Harald?«
    »Zweihunderttausend Euro«, sagt er leise.

    Einmal. Gib mir das.
    Ich schwöre dir, dass ich dich danach nicht mehr belästigen werde.
    Ehrenwort, Muschi.
    »Claire? Hörst du mir zu?«
    »Ja, ich höre dir zu«, antworte ich eisig. »Zweihunderttausend Euro. Und warum?«
    »Vielleicht sollte ich diese Frage lieber dir stellen?«
    Ich wende den Blick von ihm ab und sehe nach der Bananenkiste. Reddy beobachtet uns argwöhnisch durch zusammengekniffene Augenlider. »Marius hat mir vor zehn Jahren mehrere Taschen voller Geld zur Aufbewahrung gegeben und glaubt, ich hätte sie noch.«
    »Und? Hast du sie?«
    Ich blicke Harald direkt ins Gesicht. »Ich habe Marius gesagt, dass er bei mir an der falschen Adresse ist und sich an Chris wenden solle, weil ich ihm das Geld gegeben hätte.«
    »Wer ist Chris?«
    »Ein Freund von Marius.«
    »Aber er glaubt dir nicht?«
    »Chris ist tot, und Marius braucht Geld. Ich dachte, er hätte mir geglaubt, aber anscheinend habe ich mich geirrt.«
    Harald steht auf und dreht mir den Rücken zu. Er verschränkt die Hände im Nacken und hebt das Kinn. So bleibt er einen Moment stehen. Ich höre nur seinen schnaufenden Atem.
    Als er sein Schweigen bricht, klingt seine Stimme leise und geknickt: »Und was jetzt? Was sollen wir denn jetzt machen? Was soll ich tun? Ich habe nicht so viel, Claire. Ich habe keine zweihunderttausend. Ich habe nichts. Nada. Niets. Nothing. Rien du tout. Wir sind pleite.« Er lässt seine Arme sinken und fängt fast hysterisch an zu lachen. »Alles gehört Lely. Der Bank. Alles. Alles gehört diesem … Arschloch!«
    »Was soll das heißen, alles?«
    Er lässt sich wieder auf den Stuhl sinken. »Alles. Das Geschäftshaus meines Vaters. Unser Haus. Ich bezahle mich dumm und dämlich an Zinsen. Geschäftlich wie privat. Ich habe keinen roten Heller mehr, Claire. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber die Blütezeit unserer Firma ist schon seit einer Weile vorbei. Ich verkaufe zu wenige Häuser, die Kosten sind zu hoch, schon seit Jahren, es wird immer schlimmer. Und schlimmer.« Er blickt auf. »Ich musste diesen dreckigen Blutsauger von Lely anflehen, damit er mir noch einmal

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