Abschied aus deinem Schatten
schnurstracks mit Tim wieder raus und schließlich bei einem Mexikaner in South Norwalk eingekehrt. Nimm’s mir nicht übel, Ro, aber deine Schwester war eine garstige und krankhafte Schwulenhasserin. Sie wollte einfach kein schwules Pärchen in ihrem schnieken Etablissement und führte sich auf, als wären Tim und ich durchgeknallte Tunten, die dem Ruf ihres feinen Lokals schaden wollten. Sie hat es zwar nicht laut gesagt, aber man sah es ihr an, dass sie befürchtete, nun würden die Homos der ganzen Stadt das piekfeine ‚Rendezvous‘ zu ihrer Stammkneipe umfunktionieren, samt Musik von Judy Garland und gleichgeschlechtlichen Duos, die sich in den dunklen Nischen befummeln. Ich war entsetzt, um ehrlich zu sein.”
Rowena war erschüttert. „Das hättest du mir doch sagen können!”
„Und wozu? Damit du dich ebenfalls aufregen konntest? Du hast doch gewusst, wie deine Schwester war!”
„Das stimmt. Aber trotzdem! Ich habe auch erst vor kurzem erfahren, dass sie auf einem Anteil von den Trinkgeldern bestand, wenn sie mal bedienen musste. Eine Gemeinheit, nicht wahr?”
„Sie war eine schreckliche Pfennigfuchserin”, fügte Penny hinzu. „Hat mich immer gewundert, dass ihr zwei verwandt seid.”
„Mich hat es auch erstaunt.” Rowena lächelte, hatte jedoch plötzlich das wächserne, erstarrte Antlitz ihrer Schwester vor Augen und merkte, wie abgrundtiefe Trauer sie überkam. Arme Claudia! Solch ein nutzloses Leben hatte sie gelebt; so viele Menschen hatte sie mit ihrer brutalen Rücksichtslosigkeit vor den Kopf gestoßen, und doch – dass sie so früh sterben musste, hatte sie nicht verdient. Doch dies war nicht der Moment, um sich in Sentimentalität zu ergehen. Schließlich hatte sie Freunde zu Gast und musste nun endlich das Essen zubereiten. „Macht es euch etwas aus, in der Küche zu essen?” fragte sie, wobei sie nach ihrer Diätcola griff.
„Nichts da, ausgeschlossen”, erwiderte Mark.
„In der Küche?” In gespieltem Entsetzen verzog Penny das Gesicht. „In dem Land, über das die Zeit hinweggegangen ist? Da willst du essen?”
„Nun aber Schluss, ihr zwei!” lachte Rowena. „Kommt lieber mit und leistet mir Gesellschaft!”
Mark brachte noch einmal die Sprache auf die Wohnung, kurz bevor er und Penny sich verabschiedeten. „Falls du dich wirklich zu einer Renovierung von Grund auf durchringen solltest, Ro – das mit der Garage war mein voller Ernst! Langsam wird es Zeit, dass ich aus meiner eheähnlichen Wohnung ausziehe. Und was Penny sagte, lässt sich nicht von der Hand weisen. Vermutlich wäre es keine schlechte Idee, wenn jemand auf Rufweite neben dir wohnt. Zudem könnten wir eine Fahrgemeinschaft zur Arbeit bilden und unseren Beitrag zur Reduzierung der Umweltverschmutzung leisten.”
„Falls ich das Ganze wirklich in Angriff nehme, komme ich darauf zurück. Es wäre mir mehr als recht, dich in der Nähe zu haben.”
„Ihr seid doch beide verrückt”, stellte Penny fest. „Das Haus ist für eine Person viel zu groß, Ro, aber falls du unbedingt hier deine Zelte aufschlagen willst, dann wäre es mir erheblich lieber, wenn ich wüsste, dass Mark hier ebenfalls wohnt und eine Auge auf dich wirft.”
„Eigentlich”, warf Mark ein, „hatte ich gehofft, sie würde umgekehrt ein Auge auf mich werfen!”
Nachdem sie fort waren, wanderte Rowena nochmals durch das Haus und stellte es sich in einem nagelneuen Anstrich vor, ohne die schweren Vorhänge und die dunklen, muffigen Teppiche. Vielleicht, so dachte sie, hole ich mal ein paar Kostenvoranschläge ein!
Am späten Freitagnachmittag der folgenden Woche rief Anthony Reid an.
„Ich habe mit großem Bedauern von Claudias Tod gehört”, sagte er. „Ich war auf Reisen, sonst hätte ich mich schon eher gemeldet. Darf ich fragen, woran sie gestorben ist?”
„Allem Anschein nach an einer versehentlichen Überdosis Schlaftabletten in Verbindung mit Alkohol.”
„Höchst bedauerlich!” Er verstummte einen kurzen Moment und fügte dann hinzu: „Ihrer Nachricht entnehme ich, dass Sie mich dringend sprechen wollen.”
„Richtig, das stimmt.”
„Wegen Claudia?”
„Ja.”
„Ich könnte es für Dienstagnachmittag einrichten. Siebzehn Uhr. Wäre Ihnen das recht?”
„Ja. Wo?”
Er gab ihr eine Adresse in Greenwich an, ihrer Kenntnis nach ein medizinisches Zentrum unweit der Klinik. Eigentlich hatte sie für die Unterredung mit diesem Mann eine persönlichere Örtlichkeit erwartet. Trotzdem bedankte sie
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