Abschied aus deinem Schatten
ziemlich viel zugenommen, und es fiel ihr nicht leicht, die überzähligen Pfunde wieder loszuwerden, was ihren Ehemann Ken allmählich zu ganz und gar nicht witzigen Bemerkungen über ihre Konfektionsgröße veranlasste. Als der kleine Kip schließlich zwei Jahre alt war, hatte Penny sich trotz verschiedener Diäten auf runde achtzig Kilo gesteigert. Da sie Kens abfällige Kommentare nicht mehr aushielt, hatte sie die Scheidung eingereicht. Sie zog mit dem Kleinen zu ihren Eltern zurück und nahm knapp fünfzehn Kilo ab, um innerhalb kürzester Zeit wieder zwanzig zuzulegen.
Mehr als vier Jahre dauerte es, bis Penny die Anzahlung für ihre Eigentumswohnung zusammengespart hatte – vier Jahre, in denen sie auf neue Kleidung verzichten, fast nur von Fastfood leben und mit einem so strikt begrenzten Haushaltsgeld auskommen musste, dass sie sogar gezwungen war, das Benzin für den Wagen zu rationieren. Es waren Jahre, in denen sich Pennys Eltern auf unerträgliche Weise in jeden Lebensbereich einmischten – angefangen von ihrem Erziehungsstil bis hin zu der Zeit, die sie im Bad verbrachte; Jahre, in denen sie so gut wie keinen Bekanntenkreis besaß und jedes Mal, wenn sie von Rowena zum Essen eingeladen wurde, ihren Kleinen mitbringen musste.
Nach dem Einzug in die Eigentumswohnung gestaltete sich plötzlich alles erheblich einfacher. Sie musste nun nicht mehr befürchten, dass ihre Eltern dem Jungen wegen kleinster Verstöße gegen ihre strenge Hausordnung eine Tracht Prügel verpassten oder ihn einfach nur aus Prinzip schlugen – schließlich, so ihre Rechtfertigung, hatten sie ihre Tochter ja auch auf diese Weise großgezogen, und geschadet hätte es ihr nicht. Einmal dem Einfluss der Großeltern entronnen, wurde der kleine Kip merklich umgänglicher und weniger widerborstig. In ihrem Wohnkomplex fand Penny gleich mehrere Frauen, die sich als Babysitter zur Verfügung stellten, sodass sie nun abends hin und wieder ausgehen konnte. Auch Gäste konnte sie einladen, und Kips Freunde durften schon mal über Nacht bleiben.
Endlich, sie war mittlerweile dreißig Jahre alt, machte ihr das Leben wieder Spaß, und sie war glücklich, von ihrem Übergewicht einmal abgesehen. Da die Männer sie zu ihrer eigenen Überraschung nach wie vor attraktiv fanden, schaffte sie es, sich eine gelassen-humorvolle Einstellung gegenüber ihrem verkorksten Stoffwechsel und ihrer vermutlich nicht zu ändernden Körperfülle zu bewahren.
Was Mark betraf, so hatte es zwischen ihm und Rowena vom ersten Tag in der Bibliothek an, runde elf Jahre zuvor, gefunkt. Er war ungefähr einsfünfundsiebzig groß, eher schmächtig und hatte ein Gesicht wie ein Filmstar: feine, wie gemeißelt wirkende Züge, klare, grüne Augen und hellbraunes, kurz geschnittenes, seitlich gescheiteltes Haar. Außerdem zog er sich an wie ein Filmstar – allerdings wie einer aus den 30er-Jahren. Meist trug er eng anliegende Pullover oder ärmellose Strickpullunder über Hemden mit offenem Kragen und dazu locker geschnittene Freizeithosen mit Gürtel. Er mochte Socken mit Schottenkaro, mokassinähnliche Herrenslipper, Jugendstileinrichtungen und exquisites Aftershave. Obendrein war er ein Kindernarr, der sich rührend um seine zahlreichen Neffen und Nichten kümmerte und, von Tim unterstützt, sofort vom ersten Augenblick an bei Kip die Vaterrolle übernahm.
Mark stand Rowena also näher als Penny, was daran liegen mochte, dass er sich von Anfang an auf eine Weise in sie hineinversetzen konnte, die ihr geradezu unheimlich vorkam. An jenem ersten Arbeitstag in der Bibliothek hatte sie ihn zum Lunch eingeladen. Beim Mittagstisch in einem Restaurant in der Broad Street hatte er sie mit einem Mal über das Tagesgericht hinweg angegrinst und gesagt: „Und was machst du so, wenn du nach Feierabend heimkommst? Wickelst du dich in deinen seidenen Morgenrock und schlüpfst in Pantoffeln mit Marabufedern?”
Einen Moment lang hatte sie ihn verwirrt angestarrt, dann aber so herzhaft gelacht wie schon seit Jahren nicht mehr. „Wie kommst du denn darauf, um Himmels willen?” hatte sie gefragt.
„Meine Liebe, wenn eine Dame Parfüm von Saint Laurent auflegt und dazu Outdoor-Klamotten trägt, dann hat sie unter Garantie ein Geheimnis.”
Da sie ihn beeindruckend und überaus sympathisch fand, hatte sie etwas getan, was sie nie zuvor gemacht hatte: Sie erzählte ihm von ihrer Familie – dass ihr Vater sie verlassen und ihr Bruder gestorben war und davon, wie zermürbend und
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