Abschied braucht Zeit
Schwäche. Offensichtlich ist der Mensch fähig, sich auch mit widrigsten – und früher unvorstellbaren – Situationen zu arrangieren.
Niemand würde ernsthaft ein Leben in einer solch extremen Form der Abhängigkeit wollen. Aber am Beispiel von Frau R. wird deutlich, dass sich der Wille im sozialen Zusammenhang anders darstellt, wenn situative Veränderungen zur Disposition stehen. Ob der sich situativ manifestierende Wille bei nicht entscheidungsfähigen Menschen in seiner sozialen Dimension einen höheren Stellenwert hat als vorausverfügte Willensbekundungen, ist ein fortbestehendes Thema der kontroversen Auseinandersetzung um die Bedeutung des Willens. Viele der in den letzten Jahren gerichtlich ausgetragenenKonflikte zur Umsetzung antizipierter Willensbekundungen und die damit verbundenen Beziehungsprobleme zeigen allerdings, dass weder die soziale noch die biologische Dimension des Willens für sich allein als Entscheidungskriterium genügen.
Die Respektierung und Umsetzung des spirituellen Willens schließlich erfordert Dialogbereitschaft und das Verstehen des ganzen Menschen. Entscheidungen zwischen Leben und Tod können nicht nur nach einseitigen medizinischen Gesichtspunkten, aus juristischen Erwägungen oder aus weltanschaulichen Überzeugungen getroffen werden – auch wenn diese Gesichtspunkte immer eine Rolle spielen. Unter spirituellen Aspekten geht es darum, mit dem schwierigen Instrument des Willens so umzugehen, dass er auch als lebensbegrenzend respektiert und angenommen werden kann.
Das Eingehen auf den Willen des sterbenskranken Menschen und die Achtung der verschiedenen Dimensionen des Willens sind eine wichtige Aufgabe in der Sterbebegleitung. Das Sterben willensorientiert zuzulassen und angemessen zu begleiten, kann bei sehr langen Verläufen der Pflege- und Hilfsbedürftigkeit nicht nur ein moralisches, sondern vor allem auch ein emotionales Problem darstellen. Entscheidungen hierzu sollten deshalb immer im Konsens getroffen werden, die Gründe transparent sein. Die Bereitschaft, hier Verantwortung zu übernehmen, gehört zu den ärztlichen Aufgaben.
Willensorientierung bei sterbenskranken Menschen bedeutet auch, die Hierarchie der Willensbekundungen vom aktuellen situativen Willen des einwilligungsfähigen informierten Patienten über den antizipierten Willen und den sogenannten mutmaßlichen Willen des nicht einwilligungsfähigen Patienten im Dialog mit allen Beteiligten unter dem Aspekt der Autonomieförderung zu beurteilen. Das setzt die Fähigkeit voraus, sich selbst zurückzunehmen, wenn die eigenen Wertvorstellungen, Überzeugungen und Emotionen vielleicht in eine andere Richtung gehen.
Bei aller Sinnhaftigkeit von Vorsorge- und Patientenverfügungen sollten die gesetzlichen Regelungen nicht zur Sprachlosigkeit verführen. Deshalb kommt dem offenen Dialog und dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt, Patient und Angehörigen für willensorientierte Entscheidungen in Sterbesituationen immer noch der höchste Stellenwert zu.
Sterben ist nicht immer leicht oder einfach oder schön zu gestalten. Sterbebegleitung benötigt Stärke und Demut, Dominanz ist nicht gefragt. Dabei können sich Erkenntnisse und Zusammenhänge eröffnen, die für die Sinnbestimmung des eigenen Lebens von besonderer Bedeutung sind. Das Recht des Sterbenden ist seine Würde. »Sterben erleben« ist die letztlich unausweichliche existentielle Erfahrung des menschlichen Lebens, die uns allen als ›todsicheres Experiment‹ irgendwann bevorsteht.
Respekt vor Autonomie beinhaltet die Bereitschaft, das Sterben in seiner eigenen Autonomie so zu begleiten und auszuhalten, dass etwas von der einzigartigen Bedeutung des Todeserlebnisses auch für die Überlebenden erfahrbar wird.
Kapitel 12
Humor bei Sterbenden
»Wer mit Humor zu sterben verstünde, hätte die höchste Stufe der Kultur erreicht.«
Curt Goetz
Curt Goetz, der als Schauspieler, aber besonders durch seine Komödien bekannt gewordene Schriftsteller starb 1960 in der Schweiz. Er selbst litt an Depressionen und zuletzt an einer tödlichen Krebserkrankung, wovon kaum jemand wusste. Wie Curt Goetz wies auch der Wiener Neurologe Viktor Frankl auf die Kraft des Humors als existentieller Lebenskunst zur Selbsterhaltung in scheinbar ausweglosen Situationen hin: »Nichts lässt den Menschen von sich selbst so sehr distanzieren wie der Humor. Der Humor würde verdienen, ein Existential genannt zu werden. Nicht anders als die Sorge und die Liebe.« 180 Viktor
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