Abschied braucht Zeit
auch Erleichterung und Beistand in der Sterbephase. Dazu gehört auch, dass das Sterben nicht hinausgezögert wird, wenn es denn sein muss. Dennoch bewerten diese Menschen die ihnen verbliebene Zeit ihres Lebens als besonders kostbar. Andere erleben ihre Erkrankung in einem hohen Maße als Schuld oder Belastung und als Versagen medizinischer Möglichkeiten. Menschen dieser Gruppe haben sich oft selbst aufgegeben und begegnen palliativmedizinischen Bemühungen zunächst mit dem Gedanken, dass es nun keine Hoffnung mehr gebe. Der Wunsch nach einem raschen Tod und das Verlangen nach konkreter Hilfe zu einem schnellen Ende entsteht bei dieser Gruppe häufig indem Glauben, dass die medizinischen Bemühungen keinen Sinn mehr hätten und ihre Qual und Verzweiflung doch bald beendet werden solle, wenn man ihnen schon kein längeres Leben mehr ermöglichen könne.
Beim palliativmedizinisch betreuten Sterbenskranken besteht die Wahl nicht zwischen Tod und Leben, sondern zwischen Sterben und Tod mit unterschiedlichen Modalitäten. Ist dies die Ausnahmesituation? Ein wichtiger Aspekt beim palliativ begleiteten Sterben ist es, die einem Leiden zugrunde liegenden existentiellen Fragen nach Werten und Sinn sowie körperliche, psychische und soziale Probleme umfassend aufzunehmen, sich um Lösungswege zu bemühen und nicht Konflikte zu beenden, indem der Leidende abgeschafft wird. Dies gilt auch für Situationen, in denen die Betroffenen ihr Leiden und die Angst vor dem Sterben als unerträglich empfinden.
In der europaweit geführten Debatte um eine Legalisierung der Euthanasie, d. h. der Tötung auf Verlangen und des ärztlich assistierten Suizids bei unerträglichem Leid, besteht trotz vieler Kontroversen Einigkeit darin, dass Palliativmedizin und Hospizbetreuung eine wesentliche Voraussetzung für ein Sterben unter würdigen Bedingungen und für ein humanes Miteinander in sterbenahen Situationen sind. Dennoch weisen Umfragen in der Bevölkerung Deutschlands ähnlich wie in anderen Ländern Europas darauf hin, dass sich die Mehrheit durchaus auch eine ärztlich durchgeführte Euthanasie oder den ärztlich assistierten Suizid wie in den Niederlanden, der Schweiz, in Belgien oder in Luxemburg vorstellen kann.
Bei dem Wunsch nach Euthanasie und ärztlich assistiertem Suizid müssen medizinische, juristische und weltanschauliche Gesichtspunkte beachtet werden. Während auf der philosophisch-theologischen Ebene die ethische Diskussionvom Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit, Wert und Würde des Lebens bestimmt wird, müssen auf der juristischen Ebene die rechtlich und gesellschaftlich anerkannten Normen unter dem Gesichtspunkt von Autonomie und Selbstbestimmung beurteilt werden. Auf der medizinischen Ebene geht es vor allem um die Unterscheidung von passivem Sterbenlassen und aktiven Tötungshandlungen sowie die Festlegung von Behandlungsindikationen und -zielen. So ist der Abbruch einer medizinischen Behandlung – auch mit der Konsequenz des Todes – grundsätzlich immer erlaubt und unter bestimmten Voraussetzungen auch geboten, während der Tod aufgrund von Mitwirkung bei der gezielten (Selbst-)Tötung eine krankheitsunabhängige Kausalität beinhaltet und Normen des Rechts zu töten unter juristischen und ärztlich-berufsethischen Aspekten berührt. Jeder Mensch hat zwar aufgrund des Rechts auf Selbstbestimmung die Möglichkeit, sich in freier Verantwortung selbst zu töten, aber keinen Anspruch darauf, dass ihm hierzu von anderer Seite und im Besonderen von ärztlicher Seite auch Hilfe gewährt wird. Die Grundprinzipien der modernen Medizinethik – Respekt vor Autonomie, Benefizienz, Non-Malefizienz und Gerechtigkeit – sind in der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit von Handlungsmöglichkeiten in Grenzsituationen von zentraler Bedeutung. Insofern gehört es zu den ärztlichen Aufgaben – besonders in der Palliativsituation –, Sterbewünsche von Betroffenen und deren Angehörigen respektvoll aufzunehmen, diese als medizinische, aber auch als emotionale Herausforderung an das eigene Ethos zu akzeptieren und sich nicht nur auf eine juristische oder weltanschauliche Position zurückzuziehen. Dies erfordert nicht nur, sich mit den eigenen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen, sondern auch, sich in einer therapeutischen Beziehung auf das Sterbeverlangen des anderen so einfühlsam einzulassen, dass ihm Perspektivengeboten werden, er aber auch im Vertrauen auf Ungewisses Begleitung findet.
Kann Palliativmedizin
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