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Abschied in Dunkelblau

Abschied in Dunkelblau

Titel: Abschied in Dunkelblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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beweisen wollte, wie gut er alles unter Kontrolle hatte, eine vollständige Rolle und ließ den metallisch glänzenden Anker kurz aufblitzen, dann hielt er sich wieder gerade, und der hochgehobene Kopf machte kleine Bugwellen, die an seinen Ohren vorbeischossen.
    Ich konnte mich weder bewegen noch denken, noch sprechen. Die Welt, wie ich sie bisher kannte, war verschwunden, und in einem Alptraum mußte ich gegen etwas kämpfen, das unbesiegbar war. Ich konnte den Strahl der Taschenlampe nicht von ihm weg richten. Er machte wieder eine Rolle. Und dann sah ich, was los war. Sein Hals war zwischen die Schaufeln des Ankers geklemmt, und die Zacken der Schaufelspitzen hatten sich unter seine Kinnlade geschoben und spannten seinen Kiefer zu diesem Grinsen. Ich schaffte es zu der Klampe und löste die Leine mit nervösen, ungeschickten Händen. Er war sofort verschwunden, als der Anker ihn hinunterzog. Ich klammerte mich an die Reling und erbrach mich. Als ich mit tränen-überströmten Augen nach vorne schaute, sah ich plötzlich, daß ich verdammt knapp davor war, die Rut Cry zu rammen. Ich sprang an die Instrumente, umkreiste sie, näherte mich ihr vorsichtig, fischte ihre Bugleine mit einem Bootshaken und machte sie am hinteren Mittelklampen fest.
    Ich errechnete den ungefähren Kurs, schätzte ihn auf zweihundertneunzig und - immer die Rut Cry im Auge, um zu sehen, wie sie sich hielt - ging langsam hoch auf 2800 UPM. Ich ging unter Deck und schaute nach den Frauen. Lois hatte eiskalte, schlaffe Hände. Mit meinen Lippen an ihrem Hals konnte ich den Puls fühlen. Sie lebte noch.
    Ich schaltete das Kurzwellenfunkgerät ein und benutzte die Notruffrequenz der Küstenwache. Beim dritten Versuch kamen sie laut und deutlich herein. Ich sagte ihnen, wer und wo ich war und etwas über die medizinische Notlage. Es war nach Mitternacht. Meine kaputte Lippe verlieh mir eine fremde Stimme. Ich sagte ihnen, daß, so wie die Frau und das Meer aussahen, ein Hubschraubertransport nicht machbar wäre. Sie sagten mir, ich sollte dranbleiben. Sie meldeten sich wieder, und ich nahm, ihrer Aufforderung folgend, die Taschenlampe, hob ihre Lider an und schaute ihr in die Augen. Ich sagte ihnen, eine Pupille sei ganz klein, die andere ganz groß. Sie sagten mir, ich sollte noch einmal dranbleiben. Ich ging an Deck, um mich umzusehen. Am westlichen Horizont sah ich den Schein von Lichtern. Ich schwenkte die Taschenlampe herum und entdeckte etwas, das schwach und rot im Speigatt glimmte. Ich hob es auf. Danach fand ich noch drei weitere. Fünf insgesamt, die einzigen, die nicht ins Meer gespült worden waren.
    Sie meldeten sich wieder und gaben mir eine Kurskorrektur um fünf Grad durch, denn offensichtlich hatten sie mich auf geheimnisvolle Weise ausgemacht, und sagten mir, ich sollte mit höchstmöglicher Geschwindigkeit nach Lauderdale fahren, direkt zur Tankstelle am Pier 66, dort würde ein Krankenwagen warten.
    Ich gab dem Boot so viel Stoff, wie es verkraften konnte. Die Schiffsmotoren brüllten auf. Bei Vollgas drehten sie bei fast 4500 Touren. Ich drosselte sie etwas. Die Tanks waren halbvoll, ich preschte nach Hause, übernahm das Ruder selbst, und das Boot des Tigers schwamm vergnügt und beschwingt hinterher.
    Rotlichter drehten sich und blinkten auf den glänzenden Fahrzeugen, die am Pier warteten. Ich legte ganz nahe bei ihnen an, und eine ganze Mannschaft schwärmte mit Leinen an Bord und gab sich schreiend Befehle. Dann kamen andere an Bord, nahmen die Frauen mit, beide wurden gleichermaßen mit sanfter Professionalität behandelt.
    Ich fuhr mit ihnen ins Krankenhaus. Sie nähten meinen Mund, machten Röntgenaufnahmen von mir, legten mir einen Klebeverband über die Rippen und rückten mir die Nase wieder in eine einigermaßen zentrale Lage. Während all das mit mir gemacht wurde, rasierten ihr andere den Kopf, schnitten ihr die Schädeldecke auf und beseitigten so den angestauten Druck einer massiven Hirnblutung. Die Operation war ein großer Erfolg. Drei Tage später starb die Patientin an Lungenentzündung, während sie künstlich beatmet wurde, während ich bei ihr saß, sie durch die Abtrennung aus Plexiglas unverwandt anschaute und zusah, wie sie mit ganzer Willenskraft um jeden Atemzug kämpfte, bis sie einfach den nächsten nicht mehr schaffte. Sie sank danach ein bißchen in sich zusammen, ihr Gesicht ganz klein und grau unter dem Mullverband und dem Pflaster.

Catorce
    Was macht man, wenn sie einem alle Lichter

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