Abschied in Dunkelblau
beigebracht hatte, wartete die nächste Rolle ab, und als er sich ein wenig zu weit aufrichtete, ging ich auf ihn los, stieß mich ab und rammte ihm meine Schulter in die Magengrube. Ich trieb ihn an die Steuerbordreling, als sie gerade tief unten war, und er ging über Bord. Er grabschte nach mir, wollte sich an mir festkrallen, aber ich hielt mich an der Reling fest, er verfehlte sie und fiel ins Meer.
Ich weiß nicht, weshalb ich erwartet hatte, daß er wie ein Stein sinken würde. Ich klammerte mich an die Reling, keuchend und hustend, und sah, wie er auftauchte, sich das Wasser aus den Augen schüttelte, sich orientierte, sich umdrehte und dann den Weg zur Rut Cry bahnte. Sie lag da draußen und schaukelte im Mondlicht auf und ab. Trotz seines verstauchten Armes, trotz der Kugel in seinem Bauch glaubte ich immer noch, daß er es schaffen könnte.
In einem Anfall von Panik wühlte ich nach etwas, was ich nach ihm werfen konnte. Die Play Pen trieb in dieselbe Richtung. Er kam nicht schnell genug außer Reichweite. In der offenen Staukammer mitten auf dem Heckspiegel lag ein großer Danforth Anker. Ich zog ihn heraus, die Kette rasselte am Ankerschaft; ich nahm den Ankerschaft in beide Hände, suchte festen Halt und schleuderte ihn so kraftvoll, wie ich konnte, in hohem Bogen hinter ihm her. Er landete auf seinem Hinterkopf, auf Nacken und Schultern, gerade, als Junior Allen von einer Welle nach oben getragen wurde, und prallte von seiner Schulter ab - und plötzlich war das Meer leer. Die Leine, die an der Ankerkette befestigt war, peitschte gegen mein Fußgelenk. Instinktiv trat ich darauf. Ich bückte mich schwach und hob sie auf. Ich besaß nicht die Kraft, den Anker wieder einzuholen. Ich wickelte sie ein paarmal um die Steuerbordklampe am Heck. Ich hielt ununterbrochen nach ihm Ausschau. Ich konnte nicht glauben, daß ihn etwas endgültig geschafft hatte. Ich machte einen Schritt zurück, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, und trat auf so etwas wie einen Kieselstein. Ich hob ihn auf und steckte ihn in die Tasche. Ich schleppte mich zum Armaturenbrett. Ich mußte dieses ganze, verdammte Geschaukele beenden, bevor ich den Verstand verlor. Ich brachte die Motoren zum Laufen, drehte in den Wind, fuhr ganz langsam und schaltete die Selbststeueranlage ein. Die übernahm das Ruder und hielt es auf Kurs. Meine Unterlippe war gespalten, ein Teil hing herunter und legte meine Zähne auf der linken Seite frei. Ich schaltete die Positionslichter ein. In einer Halterung neben der Instrumententafel war eine Taschenlampe befestigt. Die heftigen Schiffsbewegungen hatten die beiden Frauen aus den Kojen geworfen. Sie lagen beide mit dem Gesicht nach unten in dem engen Gang, Deeleen lag obenauf. Ich hievte Deeleen in die Backbordkoje. Sie schlief noch immer ganz tief, und beim Ausatmen röchelte sie etwas.
Mit Lois ging ich etwas sanfter um, kniete mich hin, drehte sie um und nahm sie in die Arme. Ich richtete die Taschenlampe auf sie, als sie in der Koje lag. Ihr Gesicht hatte die Farbe von Hefe. Ihre Lippen waren blau und blutleer. Die ganze linke Gesichtshälfte war eine einzige, dunkle Schürfwunde. Ich konnte keine Atmung feststellen, aber als ich mein Ohr gegen ihre Brust legte, glaubte ich, ein ganz schwaches, langsames Klopfen zu vernehmen, das Herz im Kampf um einen hauchdünnen Lebensfaden.
Ich packte beide fest in Decken ein, wobei ich andauernd mit mir selbst sprach. Mein Kopf schien ganz weit weg zu sein, voller Nebel und toter Geister, eine weite und menschenleere Landschaft, papierdünn umhüllt von zerbrechlichen Knochen.
Tigers Boot finden. Oberste Priorität. In Windrichtung suchen. Ich ging zum Armaturenbrett, setzte die Selbststeueranlage außer Betrieb, schwang das Boot herum, um das Meer genau im Rücken zu haben, und gab ein wenig Gas. Plötzlich fiel mir der verdammte Anker wieder ein. Ich spurte noch nicht richtig. Es wäre sehr ratsam, die Leine um einen Schaft zu wickeln. Ein Anker im Schlepptau schwingt im Kielwasser hin und her, hüpft auf und ab. Ich schaltete wieder auf Automatik und ging achtern. Ich beschloß, die Leine einfach zu lösen und den Anker fahren zu lassen. Ich richtete die Taschenlampe ins Kielwasser, um zu sehen, ob ich ihn entdecken konnte. Das Kielwasser bildete einen glatten Schwall etwa zwölf Meter hinter dem Heck. Junior Allen ritt auf dieser Heckwelle, das Gesicht über dem Wasser, und grinste mich an.
Plötzlich drehte er, als ob er angeben wollte, als ob er
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