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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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Kopfzucken ginge ihm auf die Nerven. Und dass Vater kaum noch einen deutlichen Satz über die Lippen brachte, war zwar ungewöhnlich, aber erklärbar: »Dein Vater«, sagte Ernst, »verträgt normalerweise was wie ein Stier, die Bahn trifft er selbst dann noch, wenn er sich kaum auf den Beinen halten kann, und was er dann redet, ist auch kein völliger Stuss, aber wir dachten, er ist halt heute nicht in Form. Hat ja jeder schon mal! Wie hätten wir an so 'was denken sollen?«
    Ja, und als dann die große Blaue fiel und Vater schwankend dastand, auf die Kegelbahn starrend ohne einen Laut von sich zu geben, da hätten sie gelacht, hätten noch gelacht als Vater in die Knie sackte. »Plötzlich aber gab er so eine Art Pfeifen von sich, so ein Laut, als wenn aus einem Reifen plötzlich alle Luft entweicht« und dann wäre er zu Boden gesunken und verstummt. Das einzige Geräusch wäre von dem kleinen Bimmelchen gekommen, das ungültige Würfe anzeigt, und welches Vater mit seinen zuckenden Armen anstieß und anstieß, ja und dieses Schaben seiner Füße auf dem Boden, meinte Ernst, das hätte man – so erschrocken still plötzlich alle Kegelbrüder gewesen wären – ganz deutlich gehört, aber von einer Sekunde zur nächsten, da hätte mein Vater nur noch ganz bewegungslos neben dieser verflixten blauen Kugel dagelegen. »Ja, diese verdammte blaue Kugel«, sagte Ernst, als er mir – endlich am ersten entscheidenden Punkt seiner Erzählung angelangt – eine Hand fest auf die Schulter legte, »Junge, es tut mir so leid, dein Vater ist tot!«
    Und da hielt es seine Frau nicht mehr leise in ein Taschentuch weinend auf ihrem Stuhl. Sie sprang auf, es brach förmlich aus ihr heraus, wie bei diesem Ehepaar, das einen Witz erzählt und sich aus lauter Ungeduld und Besserwisserei gegenseitig die Pointe versaut, unterbrach sie schluchzend die Schilderung ihres Mannes: »Und deine Mutter auch!« Der Rest ihrer Worte ging in Tränen unter, nur einzelne Worte ragten heraus wie Klippen, auf denen man Gefahr lief, aufzulaufen: Ach! und immer wieder: Armer! Junge! Schrecklich! Mutter! Vater! Gott! Tragödie! Drama!
    Ja, was für ein Drama, plötzlich hing mir Frau Nachbarin um den Hals, presste mich an ihre tränenfeuchte Brust, während ihr Mann immer noch mit seiner Hand meine Schulter knetete, manchmal etwas von dieser Verdammten blauen Kugel! murmelnd, als wäre diese an allen Übeln der Welt schuld. Erst als ich einen Korn verlangte, kehrte so weit Ruhe ein, dass mein Nachbar von seiner blauen Kugel abließ und – ebenfalls einige Korn zu sich nehmend – den Rest der erschütternden Geschichte zum Besten geben konnte.
    Der alarmierte Notarzt hatte nur noch den Tod meines Vaters feststellen können. Als Todesursache gab er Kreislaufversagen an. Um meiner Mutter die traurige Nachricht nicht am Telefon zu übermitteln, hatte sich mein Nachbar erboten, zusammen mit seiner Frau den nicht zu vermeidenden Gang zu übernehmen. Als meine Mutter auch nach mehrmaligem Klingeln die Haustüre nicht öffnete, obwohl die Nachbarin sie durch das Wohnzimmerfenster auf dem Sofa liegen sehen konnte, und Mutter auch auf das Klopfen am Fenster nicht reagierte, da hatten meine Nachbarn mit dem Schlüssel, den ihnen meine Eltern für Notfälle anvertraut hatten, die Haustür geöffnet. Derselbe Arzt, der schon meinem Vater nicht hatte helfen können, konnte auch für meine Mutter nicht mehr tun, als den Tod festzustellen, der einige Stunden zuvor eingetreten war. Sie war erstickt. Zum ersten Mal war sie nicht rechtzeitig aufgewacht, um die Entlarvung des Mörders im Freitagskrimi zu verfolgen.
    Natürlich waren die Umstände so ungewöhnlich, dass der Notarzt die Polizei hätte, hinzuziehen müssen. Spätestens dann, als er wegen meines Übelseins zum dritten Male in jener Nacht zur gleichen Familie gerufen wurde, hätten bei ihm die Alarmglocken schrillen müssen. Unverständlicherweise taten sie es aber nicht. Ich war es, der die Polizei alarmierte, um ihnen den Verdacht mitzuteilen, dass meine Eltern nicht eines natürlichen Todes gestorben sein konnten. Schließlich waren sie – bis auf ein paar Wehwehchen – niemals wirklich ernstlich krank gewesen. Daraufhin wurde eine Untersuchung eingeleitet und eine Obduktion angeordnet. Und das war gut so.
    Schon die Leichenschau durch einen Gerichtsmediziner ergab den Verdacht auf Vergiftung. Die sofort eingeleitete gründlichere Untersuchung führte zu dem Ergebnis, dass meine Eltern an einer

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