Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
gab ihr eine Aspirin und schluckte gleich selbst auch eine. Denn ihm ging es nicht anders. Gleichwohl würde er natürlich zur allfreitaglichen Kegelrunde in die Gaststätte gehen: »‘Nen paar Alt werden mir gut tun bei meinem trockenen Mund. Der fühlt sich seit heute Morgen an, als hätte ich ‘ne Handvoll Mehl geschluckt. Ich schmeck rein gar nichts.« Da meinte meine Mutter, ja dieses Gefühl, das hätte sie auch, sie hätte überhaupt keine Spucke mehr im Mund. Und kaum hatte sie dies ausgesprochen, entschied sich mein Vater dafür, dass es nicht schaden würde, jetzt schon ein Bier zu trinken, und ließ sich von mir eine Flasche holen.
Für mich aber verlief dieses Abendessen angenehmer als das am Tag zuvor. Meine Eltern waren so sehr mit sich und ihren Zipperlein – mit diesen Worten prostete mein Vater scherzhaft meiner Mutter zu: »Ne Mutter, langsam werden wir alt, jetzt kommen die Zipperlein« – beschäftigt, dass die übliche Fragestunde ausfiel. Also saßen wir weitestgehend stumm über unserem Abendessen und stocherten auf den Tellern herum. Dass ich keinen Fisch wollte, wurde im Gegensatz zu meiner Bratenabstinenz am Tag zuvor ohne Kommentar akzeptiert, aßen doch auch meine Eltern nur ein paar Happen. Aber so angenehm es mir war, heute mal nicht ausgefragt zu werden, behielt ich gleichwohl die Zeit im Blick. Schließlich war der Freitag.
Es war nur gut, dass wir uns erst gegen 22 Uhr verabredet hatten, so konnte ich es noch beinahe pünktlich zu Maria schaffen. Denn an diesem Abend war ich nicht gewillt, mich der von meinen Eltern diktierten Bettruhe zu eben dieser Zeit zu fügen. Alles hat seine Grenzen, und mir schwebte für diesen Abend etwas anderes als Ruhe im Bett vor.
So wartete ich ungeduldig, bis mein Vater den letzten Schluck Bier getrunken hatte und zum Kegeln aufbrach, wartete in meinem Zimmer, bis ich sicher sein konnte, dass meine Mutter ganz vertieft in den üblichen Fernsehkrimi sein würde (sie schlief immer gleich nach dem Mord ein, wachte aber merkwürdigerweise immer rechtzeitig auf, um die Entlarvung des Mörders nicht zu verpassen). Dann schrieb ich ihnen einen Zettel: »Bin unterwegs, gute Nacht und gute Besserung!«, schlich mich die Treppe herunter, um Mutter nicht doch unvorsichtigerweise aufzuwecken (wer weiß, da hört sie ein Knarzen und denkt, jetzt haben sie den Mörder), nahm mir aus der Handtasche meiner Mutter das Taschengeld, welches sie mir vorenthalten hatten, legte den Zettel neben das Telefon im Flur, und weil ich meinen Autoschlüssel nicht auf Anhieb fand, beeilte ich mich, mit dem Fahrrad rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen, um den nächsten Zug Richtung Wuppertal zu erreichen. Zwar würde ich nicht mehr pünktlich bei Maria anlangen, aber ich war mir sicher, dass sie es verstehen und mich mit offenen Armen aufnehmen würde.
5.
Maria wartete wirklich auf mich. Leider nur an besagtem Abend, da wir verabredet gewesen waren. Ansonsten war sie nicht so geduldig gewesen, wie sie mir schonend beizubringen versuchte.
Sie wäre ja eigentlich überhaupt nicht so, aber so etwas wie mit ihm sei ihr noch nie passiert. Und sie wolle mir ja gar nicht wehtun, und am liebsten hätte sie es mir ja eh gerne früher gesagt, aber ich hätte ihr nicht meine Telefonnummer gegeben, und einen Nachnamen hätte sie ja auch nicht gehabt...
Ich hatte so ein Gefühl, als sei ich doch mit dem Auto unterwegs gewesen und kerzengerade vor eine Wand gerauscht. Und dass diese Wand lächelte und mir einen Sekt anbot, und ich sehen konnte, dass sie mir kein Glas aus der noch halb vollen Flasche im Kühlschrank mit dem Silberlöffel im Flaschenhals eingoss, sondern für mich extra eine neue Flasche öffnete, war eine nette Geste, machte aber auch nicht so den fundamentalen Unterschied. Hart aufgeprallt war ich eh, ob sie nun Rosen über meinen kümmerlichen Resten verstreute oder nicht.
Zuerst war ich wirklich fassungslos, ich war mir so sicher gewesen, endlich auf der richtigen Seite des Regenbogens angelangt zu sein. So saß ich zunächst nur stumm da, saß auf der Kante ihres Sofas und trank ein Glas Sekt nach dem Nächsten, rauchte eine Zigarette nach der anderen. Doch dann musste ich lachen, hatte an die zurückliegende Woche gedacht, an mich, wie ich kopfüber in der Kühltruhe gesteckt hatte und der einzige Gedanke, der mich meine Balance und mein Selbstwertgefühl hatte nicht verlieren lassen, jener gewesen war, dass mich bald Maria mit offenen Armen empfangen
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