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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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Sie atmete tief ein, und all ihre Energie auf den Punkt in ihrer Körpermitte konzentrierend, stellte sie sich, leicht in den Knien einknickend, hinein in die Vorwärtsbewegung des Angreifers, und im rechten Augenblick – KIAY! schrie sie – sprang ihre gesammelte Kraft über in eine blitzende, fließend ausgeführte Abwehrtechnik, mit welcher sie den Mann in Windeseile und scheinbar mühelos auf die Matte und unter einen angedeuteten Ellbogencheck brachte. Wie war ich nur auf das Bild von Löwe und Gazelle gekommen?
    Ich meldete mich zu einem Probetraining an, und die Woche danach betrat ich wieder die Halle. Dieses Mal ohne Hut und im Sportdress. Mir war weder ihr Schrei noch die fließende Beweglichkeit ihres Körpers aus dem Kopf gegangen.
    Ich hatte diese Woche genutzt, um mich ein wenig in Form zu bringen, verausgabte mich bei Liegestützen, machte Gymnastik wie ein Besessener. Ich stand morgens um sieben Uhr auf und lief so gut mich meine Beine trugen durch den Park. Ich stand kurz davor rohe Eier zu schlürfen, der Gedanke an sie brachte mich fast dazu. Meine Mitbewohner hielten mich für verrückt, was ich wohl auch war, aber als ich dann in Trainingsklamotten erneut die Halle betrat, fühlte ich mich nicht allzu lächerlich in meiner Haut. Wenn ich den Bauch einzog, kam ich mir schon fast durchtrainiert vor. Ich glaubte wahrhaftig, mit den anderen, mit ihr, konditionell mithalten zu können.
    Schon das Aufwärmen brachte mich auf den Boden der Realität, in diesem Fall die Matte, zurück, schwer atmend schmiss ich das Handtuch, das Blut hämmerte in meinen Ohren, ich sah kaum noch etwas anderes als Flimmern vor den Augen und verfluchte den Augenblick, da ich beschlossen hatte, mir so etwas anzutun.
    Doch da! Hatte sie mich nicht angelächelt? Sie hatte mich angelächelt. Ein Blick von ihr brachte mich wieder auf die Beine. Und ich rannte um mein Leben.
    Nach dem Aufwärmen zeigte mir der Trainer ein paar Falltechniken und den Rest der Zeit kugelte ich kreuz und quer über die Matte, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts, bis ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Und so waren es wohl nicht meine sportlichen Leistungen, die sie bewogen, mich anzusprechen. »Wo hast du denn heute deinen Hut?«, wollte sie wissen, als sie mich, der ich mit dem Gefühl im Magen gerade noch mit dem Leben davongekommen zu sein auf einer Bank saß, nach dem Training ansprach: »Der steht dir nämlich wirklich gut!« Sie hatte mich also schon die Woche zuvor bemerkt! Und um mein Glück vollkommen zu machen, gingen wir im Anschluss an das Training ein Bier trinken. Nur wir beide. Dort in der Kneipe, ein Glas vor mir und eine Selbstgedrehte zwischen Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand, fühlte ich mich weit mehr in meinem Element, als kurz vor einem Kreislaufkollaps stehend inmitten einer gehechteten Vorwärtsrolle.
    Nicht, dass wir schon an diesem Abend wie eines von Platons Zwitterwesen Richtung Bett gekugelt wären. Ich küsste ihr lediglich zum Abschied sanft die Wange und wankte alleine in jener milden Sommernacht, eine Zigarette im Mundwinkel und herrlich euphorisch gestimmt, unter strahlenden Laternen und Sternen nach Hause. Aber bereits den Abend nach unserer ersten Verabredung sahen die Sterne Carmen und mich Hand in Hand aus der Kneipe kommen, unter Bäumen stehen sahen sie uns und eng umschlungen, lachend weitergehen, weitergehen bis zu einem Torweg, wo wir, versinkend zwischen unseren Lippen, herausfanden, dass wir wahrlich gut zusammenpassten.
     
    2.
     
    In der Woche danach ließen wir kaum voneinander ab. Die Welt eines Unglücklichen ist eine andere als die des Glücklichen , schrieb Wittgenstein. Unsere Welt jedenfalls war ein strahlendes Kleinod. An dem Morgen, da ich rauchend in der Sonne vor meiner Haustür saß, dachte ich vor allem an eine unserer Nächte. Wir haben lange geredet, in allen unseren Nächten haben wir auch lange geredet, und in jener Nacht habe ich ihr alles erzählt, was ich über die Philosophen wusste. Carmen lag neben mir und blickte mich aus großen, glänzenden Augen an. Wie sie lächelte. Ich gab alles, um dieses verliebte Lächeln in ihrem Gesicht zu bewahren. Mein Geist brannte, und hell lodernd verschmolz ich in jener Nacht, in diesem zerwühlten Bett, die abendländische Philosophiegeschichte zu in allen Regenbogenfarben glitzernden Edelsteinen, welche ich Carmen zu Füßen legte. Wahrlich, sie brachte mein Blut zum Tanzen. Ein ums andere Mal fiel sie mir glücklich lachend

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