Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Augen blickte. Und dann war ich sogar wieder so guter Dinge, dass ich mich erbot, die Frau nach draußen zu begleiten, damit sie in der Dunkelheit des Parkplatzes nicht alleine auf das Taxi warten muss.
Nachdem ich mich um die Unscheinbare gekümmert hatte, setzte ich mich wieder zu den anderen, die mich mit Fragen und Häme überschütteten ob meines Erfolges bei der – wie sich mein Chef ausdrückte – grauen Maus . »Die hatte es wirklich nötig«, meinte einer süffisant, »in den Dreck zu fallen, um aufzufallen.« Und dann kam noch grinsend das Wort Philosoph über den Tisch auf mich zugerollt, »Ja, ja unser Philosoph, stille Wasser sind ja bekanntlich tief.« Aber das altehrwürdige Wort war ganz bekleckert mit Asche, und eine Spaghetti klebte ihm unter dem Schnauzer, was einen höchst belustigenden Eindruck auf mich machte, und ich also lächelte, lächelte vor allem, da ich mich ganz und gar nicht als über den Büchern hockender Philosophierer fühlte. Diese Frau hatte mir ihre Telefonnummer gegeben, und dies bestimmt nicht aus dem Grund, dass sie einen interessanten philosophischen Diskurs mit mir führen wollte. Wer weiß, so dachte ich, vielleicht wird dies doch noch der Sommer der Liebe. In diesem Moment fiel mein Blick auf den Mythos von Sisyphos , der aufgeschlagen hinter dem Tresen lag. Warum eigentlich Liebe?, fragte ich mich. Ich dachte an Don Juan und strich mit den Fingerspitzen über den Bierdeckel. Warum mein Heil nicht zur Abwechslung mal in der Anhäufung von Erlebnissen als immer in der Konzentration suchen? Eros statt Agape. Ich, ein Jünger des Dionysos, ein Satyr, nackt im Sonnenlicht liegend, umringt von lächelnden Nymphen, die auf meiner Haut mit ihren flinken Händen das Loblied auf den trunkenen Gott singen. Ich musste über mich selbst lächeln, ja, ja, die stillen Wasser, und ging zum Tresen, mir noch ein Bier zapfen. Der Hoffnung auf die Große Liebe abschwören? Nur weil wieder einmal mit einer Frau Schluss ist? Ich schlug das Buch zu. Nein, dafür war ich viel zu romantisch veranlagt. Und konservativ. Konnte ich mir doch Lust ohne Liebe nicht vorstellen. Dachte ich. Denn kurz vor Schließung, als alle anderen Gäste das Lokal verlassen hatten, kam Lili und lehrte mich ein anderes Lied.
3.
Sie setzte sich zusammen aus einem Lachen, knalligrot schimmernden Lippen gespreizt übers ganze Gesicht, schon im Moment ihres Hereintretens all die Hauseingänge mitmeinend, in denen wir uns auf unserem Weg noch herumdrücken würden. Setzte sich des Weiteren zusammen aus Beinen, die mich das Göttliche der Geometrie schauen ließen, oh, heiliges Dreieck, Schenkel von gnadenloser Symmetrie. Eine dicke Winkelhalbierende schwang vor meinem inneren Auge hin und her, der Satyr sprang kichernd durch das hohe Gras.
Ich war dabei, die Theke zu putzen und schäumte gerade die Zapfanlage ein, als Lili den Raum betrat. Mein Chef und die verbliebenen Stammgäste verrenkten sich beinahe ihre Hälse bei dem Versuch, ihr nachzuschauen, als sie sich zu mir an den Tresen begab. Sie war gekleidet in jener düster-aufreizenden Weise, in der Frauen bevorzugt in den Magazinen abgebildet werden, die Udo so gerne las und die zuhauf in unserem Bad neben der Toilette lagen. Magazinen mit Titeln wie Metal Hammer oder Rock Hard . Udos Leib- und Magenlektüren, den offiziellen Organen seines Heavy-Metal-Universums, in die auch ich – ich muss es gestehen – manchmal einen Blick warf. Kant liest sich halt furchtbar schwer auf dem Klo. Außerdem ist man ja auch an der Welt interessiert, in der die Mitbewohner so leben.
Und genau betrachtet hatte diese Welt durchaus ihre Reize. Denn aus dieser Welt schien Lili auf ihren hochhackigen, kniehohen, geschnürten Lackstiefeln herabgestiegen zu sein. Stiefel, über welchen sich in sanft geschwungenem Fluss ihre unbestrumpften, leicht gebräunten Schenkel erhoben, die durch den schwarzen Leder-Mini weniger in ihrer aufsteigenden Linie unterbrochen, als ins dunkler werdende Ungewisse verlängert wurden. Jener aber, der sich vom Schwung ihrer Schenkel nicht weiter ins Unabsehbare führen ließ, sondern in der Anschauung des Offensichtlichen verblieb, wurde mit tiefer Einsicht in die Mystik der Zahlen und die Geheimnisse des Kosmos belohnt. Denn wie sagte schon Nietzsche: Die Wahrheit ist ein Weib , und Heidegger warf ergänzend ein: Sie zeigt sich in der Unverborgenheit . Und so wies Lilis von einem Korsett geformter Oberkörper den Weg zurück zu jenem Augenblick,
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