Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Hut auf und rauchte die erste Zigarette seit geraumer Zeit. Voller Wohlgefühl nahm ich Zug um Zug und ließ mir das Pils schmecken.
In diesen Augenblicken ging es mir so richtig gut, alle Unbilden der letzten Tage schienen weit, weit entfernt zu sein, einem anderen Leben zugehörig. Absurdes Glück einer Menschmaschine. Ich fühlte mich eins mit mir und der Welt, hatte mich nicht von den Gästen anmachen lassen, hatte alles im Griff behalten, hatte bei allem Stress immer noch einen coolen Spruch in petto gehabt (was sich beim Trinkgeld bezahlt machte), und letztlich waren alle zufrieden gewesen. Ich hatte einen guten Job hingelegt. Und nun lief mein adrenalingeschwängerter Körper wohlig schnurrend im Leerlauf, ich vergaß sogar, zur Tür zu blicken. Es waren diese kostbaren Momente, um derentwillen ich diese Arbeit (mal abgesehen vom Geld, und dass ich unter Leute kam) gerne machte, jene Momente, da die Erschöpfung noch vor Energie vibriert, eine Art Schwebezustand, schon angezogen von der Schwere der Erde, aber noch ganz abgehoben. Ein merkwürdiger Augenblick der Entrücktheit. Ein tiefes Glücksgefühl hielt mich umfangen, und wie der aufsteigende Rauch meiner Zigarette trieben meine Gedanken durch den Raum, substanzlos, haltlos verflüchtigten sie sich, ohne dass ich sie hätte fassen können, ohne dass ich sie hätte halten wollen. Es war eine ganz eigene Art von Rausch. Mein principium individuationis war in Arbeit erloschen, nun fühlte ich mich nahezu dionysisch.
Ich leerte gerade das Glas in einem Zug, als die Eingangstür aufschwang und mit einem lauten Krachen gegen einen Stuhl schlug, den jemand dort unvorsichtigerweise hatte stehen lassen. Der Stuhl kippte um, und Carmen trat herein.
Ich erschrak furchtbar, das Bierglas fiel mir aus der Hand und zerbrach in tausend Stücke. Dionysos wurde von den Titanen zerrissen, denn nun kam sie auf mich zu und war gar schrecklich und beunruhigend anzusehen. Ihre Kleidung triefte nur so vor Schmutz, nass und verdreckt und wirr hingen ihr die langen Haare dergestalt ins Gesicht hinab, dass ich jenes nur sehr undeutlich sehen konnte. Sie hinterließ eine schmutzig braune Spur dort auf dem Boden, wo sie gegangen war, und dann blieb sie vor mir stehen, stand ganz nah bei mir, so nah, und sie stank so entsetzlich modrig, und für einen Augenblick schien es mir so, als wimmele da etwas in ihrem Haar.
Es war nicht Carmen, die sich so nah bei mir ihre Haare aus dem Gesicht strich und mich anlächelte. Mir fiel ein ganzer Brocken vom Herzen. Gleichzeitig war ich verwirrt. Weil es mir anscheinend so schwer fiel, Carmen hinter mir zu lassen. Das kannte ich nicht von mir. Früher sind mir derlei Dinge nicht so nachgelaufen. Dann erinnerte ich mich daran, dass mir der Orthopäde dringend ans Herz gelegt hatte, keinen Alkohol zu trinken, wenn ich die Schmerztabletten nehme, und ich entspannte mich. Also nur ein drogenbasiertes Kreuzfeuer in meinem Hirn. Es stand da ja nur diese Frau vor mir, diese unscheinbare Frau, deren Zustand, wie sie da vor mir stand, zugegebenermaßen allerdings recht auffallend war. Aber bei Licht betrachtet war sie beileibe nicht so schrecklich anzusehen, wie ich es im ersten Moment empfunden hatte. Sie war zwar völlig durchnässt und wohl auch etwas dreckig, aber lange nicht so schmutzig, wie es mir zunächst erschienen war. »Es regnet«, erklärte sie mir lächelnd, »Ich bin ausgerutscht und hingefallen.«
Sie bat mich mit einer Stimme, die ich nicht anders als sehr angenehm schildern kann, ihr ein Taxi zu rufen. Allmählich empfand ich ihren leicht modrigen Geruch nicht mehr als unangenehm. Nein, nein, ihre Nähe hatte sogar etwas anziehend Feucht-Warmes an sich. Etwas beruhigend Würzig-Erdiges ging von ihr aus. Und so entspannte ich mich zunehmend, und als sie dann auch noch auf den Rand eines Bierdeckel ihre Telefonnummer kritzelte, da schien in meinem Herzen wieder die Sonne. »Lass’ uns doch mal was zusammen machen«, sagte sie und lächelnd steckte ich den Bierdeckel ein. Es gab da zwar noch einen kurzen Augenblick, in dem sich mir die Nackenhaare aufstellten, nämlich als mir diese Frau noch das Kompliment machte: »Der Hut steht dir wirklich gut!«, was mich einen verschreckten Atemzug lang noch einmal an Carmen erinnerte. Aber dieser unangenehme Moment ging rasch vorüber, als sie mich um eine Zigarette und um Feuer bat und sie mir, als sie meine Hand mit dem Feuerzeug nahm und die Zigarettenspitze in die Flamme hielt, tief in die
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