Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
Vom Netzwerk:
an dem einem anderen Weisen offenbar geworden sein muss, was es mit der Unendlichkeit auf sich hat und dass es die Zahl Acht ist, die auf diese verweist.
    Und Lili war eine formvollendete Acht. Das schwarze Leder ihres Korsetts betonte die streng modellierten Konturen. Ihr üppig gerundeter, sich dann aber jäh in der Taille verjüngende Hintern wurde in seiner ausgeprägten Kontur vom schmalsten Punkt der Figur aufwärts gespiegelt. Er fand seine figurative Entsprechung in der ausladenden Geste von Lilis Brüsten, die zudem noch in ihrer prallen, runden Zweigeteiltheit auf die Ewigkeit als Form zurückwiesen und so, in der Korrespondenz von Teil und Ganzem, den Gedanken an die Möglichkeit der Unendlichkeit wach hielten.
    Ich muss allerdings zugeben, dass ich zu sehr ein Kind der Aufklärung bin, um über der Form die Materie zu vergessen. Ja, wie Lili mir entgegen kam, interessierte ich mich mehr und mehr für ihre Materialität. Mein mystischer Vorfahr möge es mir verzeihen, aber bei dem Gedanken, ein wenig Zeit mit dieser Frau zu verbringen, irgendwo in einem abgeschlossenen Raum, verblasste alle Unendlichkeit. Und dieser doch eher empirischen Geisteshaltung entging auch nicht, wie sehr Lilis Körper über die reine Form hinausquoll.
    Nicht, dass sie keinen einem Korsett angemessenen Körper gehabt hätte, dies ganz und gar nicht, aber die Weise, in der sie sich bewegte, als sie sich schließlich an den Tresen setzte und sich vorbeugte, um sich von mir Feuer geben zu lassen, und die Dynamik, die beim Einatmen des Rauches ihre Brüste erfasste, transzendierten die Unendlichkeit. Ihre ganz und gar diesseitigen Brüste trieben meine Gedanken über die Anschauung der reinen Form hinaus.
    Lili hatte sich in Lilith verwandelt, die dem Dunkel der Sünde anheimgefallene erste Frau Adams. Und also verbarg sie ihr kurzes, blondes Haar unter einer Perücke, auf dass ihr schwarze Haare lockig um die nackten Schultern spielten und lang über den Rücken bis hinunter zu ihrem formidablen Hintern wallten. Sie saß mir am Tresen gegenüber und wand mir ihr Profil zu, so dass ich in den vollen Genuss ihres durch das Korsett modellierten Leibes kam, und hinterließ auf dem Mundstück ihrer Zigarette feuchtrote Lippenabdrücke.
    » Gib mir doch mal einen Osbourne«, sagte sie und wies mir mit ihren dunklen Augen den Weg zu der Flasche mit dem Stier auf dem Etikett. Elektrisierende Augen von einer Färbung, die ich nicht genau bestimmen konnte. Blitzendes-blinzelndes Schillern, eingefasst in rostbraunen Kajal: »Mir ist nach etwas Tierischem!« Sie zog an ihrer Zigarette. Dabei hob sich ihr Brustkorb hob sich dergestalt, dass die Blutversorgung meines Sprachzentrums im Hirn zusammenbrach und ich mein Ja! nur stumm nicken konnte, als sie sagte: Mir sei doch bestimmt nach ein wenig gediegener Ablenkung .
    Nachdem Lilith ein zweites Glas Brandy geleert und ich meinen Job für diesen Abend erledigt hatte, ließen wir die Kneipe und meinen sinnend, alleine bei einem letzten Bier über den Einnahmen sitzenden Chef zurück. Begleite mich zu einer Party, sagte Lilith zu mir.
     
    4.
     
    Kaum dass wir auf der Straße waren, fasste ich sie sanft um die Taille, was wahrlich nicht schwer war, und halb zog ich sie, halb sank sie dahin. Mein Kuss öffnete zart ihr die Lippen, und den festen Geschmack des Lippenstiftes hinter mir lassend, tauchte ich hinein in die fließende Wärme ihres Mundes. Sie war Wachs in meinen behutsamen Händen, unbeschwert lachende Hingabe. Aber merkwürdig, zwar drängte sie sich meinen Wünschen entgegen, ihre Zunge folgte der meinen auf dem Fuße, ihr Körper blühte – wie ich es selbst durch das Leder spürte – meinen Fingern entgegen, und doch ging von ihr eine Unbeteiligtheit aus, die mich irritierte.
    Während ich sie umarmte, und mir für meinen Geschmack einfach nicht genügend Hände und Münder zu Gebote standen, um diesen Augenblick ganz auszukosten, ließ Lilith ihre Arme baumeln. Ihre Hände suchten mich auch dann nicht, als ich mich von ihr löste, um mir eine Zigarette anzuzünden. Hatte ich mich in meiner Wirkung auf sie getäuscht? Hatte ich die Zeichen falsch interpretiert? Nicht erst Heidegger hat auf die Schwierigkeiten einer Hermeneutik des Daseins hingewiesen. War ich in den Zirkel nur mit halbem Herzen hineingesprungen und hatte die Uneigentlichkeit des Blicks nicht überwunden? War ich mehr Man als Mann?
    Weil es aufgehört hatte zu regnen, nahmen wir kein Taxi, sondern liefen. Und der

Weitere Kostenlose Bücher