Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
meinen Händen und dem Lenkrad ausbreitete. Ich hätte Lili gern berührt.
Fünftes Kapitel
Die Epiphanie des Fleisches
1.
Lass‘ dich nicht unterkriegen, sagte Lili, nachdem ich sie wohlbehalten vor ihrer Wohnung abgesetzt hatte. »Unkraut vergeht nicht!«, entgegnete ich. Sie lächelte, gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand mit ihrem Zelt unterm Arm im Hausflur. Ich blickte ihr noch einen Moment nach, dann fuhr ich zügig nach Hause. Mir blieb kaum Zeit, mich zu duschen und umzuziehen, denn ich musste zur Arbeit.
Gerade noch rechtzeitig kam ich in meiner Wohnung an. Nur Momente später, und ich hätte bitterlich fluchend vor einer verschlossenen Badezimmertür gestanden.
Entscheidend für meinen Vorsprung war, dass ich die Zeichen sehr früh erkannte. Denn tosende, kaum durch die Wohnungstür in der Lautstärke gebremste Heavy-Metal-Musik schallte mir entgegen, als ich das Haus betrat. Gleich ahnte ich, worauf dies hinauslief und beschloss, meinen Audi erst später zu entladen. Ich eilte durch den Hausflur, und wirklich, kaum dass ich die Wohnung betreten hatte, befand ich mich in einer dichten Wolke aus wummerndem Rhythmus und Marihuana.
Mit einem Blick auf die noch unverschlossene Badezimmertür vergewisserte ich mich, dass es noch nicht zu spät war. Als ich dann auch Udo in seinem Zimmer fluchen hörte, wusste ich, dass ich gerade noch zur rechten Zeit eingetroffen war. Denn dies war noch Phase Eins.
Udo stand wahrscheinlich noch vor seiner Kleiderkiste, inmitten eines Wusts von schwarzen T-Shirts auf dem Boden, die sich voneinander nur durch die verschiedenen Aufdrucke je anderer Metalbands unterschieden, und durchwühlte – einen kräftigen Joint im Mundwinkel – mit verkniffenen Augen seine Merchandisingschätze nach dem passenden Outfit für den Abend. Ist mir eher nach Metallica oder nach Blind Guardian oder bin ich heute Abend ganz wüst auf Rockbitch? So ungefähr stellte ich mir Udos quälendste Frage in der Phase Eins vor.
Aber mir konnte es nur recht sein, dass Udo so pingelig bei der Auswahl seiner Abendgarderobe war und sich solche Mühe gab, seine abendliche Stimmung mit den Erinnerungen abzugleichen, welche jedes T-Shirt ohne Frage in ihm aufkommen ließ (»Weißt du noch, bei dem Iron Maiden Konzert habe ich mir beim Stage-Diven den Backenzahn abgebrochen, und hier das Loch in meinem Accept-Shirt, das hat mir die Lore mit ‘ner Zigarette reingebrannt, weil ich ‘ner anderen in den Ausschnitt geglotzt hab«). Denn somit kam ich zu meiner überfälligen Dusche. Phase Zwei hätte das Ende meiner Sehnsucht nach heißem Wasser bedeutet, denn noch pingeliger als bei der Auswahl seiner Oberbekleidung war Udo bei der Pflege seiner Matte, wie er standesgemäß seine langen Haare nannte. Ich weiß nicht, was er alles im Bad anstellt, aber es dauert. Dauert so lange, dass Diana und ich schon geplant hatten, ihm ob des mindestens zwei Stunden rauschenden Wassers eine höhere Wasserrechnung aufzubrummen. Aber wir kamen von dieser Idee ab. Denn zum einen war Udo wirklich zu süß, wenn er als strammer 100 Kilo Kerl in seinem schwarzen Tanga-Slip aus dem Bad kam und dabei eines seiner rosa, von Muttern geerbten Handtücher wie einen Turban um den Kopf gebunden hatte. Und zum anderen benutzte Gerd das Bad so gut wie nie, so dass sich unser Wasserverbrauch insgesamt in annehmbaren Grenzen hielt.
So schaffte ich es also, noch rechtzeitig ins Bad zu springen. Gerade noch rechtzeitig, wie mir Udos Klopfen und seine Rufe, er hätte es eilig, bewiesen. WG-Leben kann so grausam sein.
Wenig später fuhr ich zu meinem Arbeitsplatz, einer Studentenkneipe in Elberfeld. Zunächst war an jenem Abend nicht viel los, lange Zeit war nicht einmal ein Bruchteil aller Tische besetzt. Vereinzelte Gestalten hielten sich an ihrem Getränk fest, grimmig entschlossen, es bei diesem einen Getränk zu belassen. Die schwarzen Zeiger der Uhr schlichen über das Ziffernblatt, als wäre jenes aus Leim. Schlimmer noch, die Zeiger der Uhr erschienen wie festgenagelt, Chronos nahm Jesu Stelle ein. Mir wurde langweilig, und Langeweile ist die Mutter aller dummen Gedanken. Immer mal wieder musste ich an Carmen denken. Es waren noch nicht einmal hübsche Frauen da, die mich hätten ablenken können. Das einzige weibliche Wesen, welches sich in diesen rinnenden Stunden an einen der Tische verirrte, war von so unscheinbarem Äußeren, dass ihr Kommen selbst meinem Chef nur ein kurzes Aufblicken von seinem Pils wert
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