Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Satyr in mir hatte bei seinem Tanz durch die Sommernacht rechte Probleme, nicht über seine eigenen Beine zu stolpern. Aber mochte er auch taumeln, er fiel nicht. Denn bei aller mir nun angemessen erscheinenden Vorsicht drängteich Lilith dennoch unerschrocken auf unserem Weg durch die menschenverlassene Elberfelder Innenstadt in so manchen Hauseingang, ihre Küsse mit meinen Lippen ungeduldig-abwartend fordernd und ihre zerbrechlich wirkende Taille mit den Händen in einer gewissen scheuen Zielstrebigkeit so umfassend, dass ich zweierlei durchscheinen ließ: Zum einen – da ich das verschlankte Rund ihres Leibes mit sanfter Gewalt noch enger spannte – wie gerne ich sie in meiner Hand hätte, zum anderen aber zeigte die unmissverständliche Weichheit meines Griffs, dass nur ein Zeichen ihrerseits genügte, um mich dazu zubringen, ihr Luft und Raum zu lassen und mich in aller höflichen Freundschaft auf den ihr gebührend erscheinenden Abstand zurückzuziehen. Mit anderen Worten, Lilith schien zwar eine Vorliebe dafür zu haben, sich mit ihrem Rücken an Häuserwände zu lehnen, aber gleichwohl stand sie bei mir nicht mit dem Rücken an der Wand.
Und doch hatte es für mein Empfinden einen ganz eigenen Effekt, sie so zu umarmen, dass sich meine Fingerspitzen hinter ihrem Rücken beinahe berührten, vor allem da ich spürte, wie sich Liliths Atmung in diesen Momenten beschleunigte und wie biegsam ihr Körper und ihre Lippen jeder meiner Bewegungen folgten.
Jedes Mal aufs Neue spürte ich ihr Entgegenkommen, jedes Mal dachte ich, gleich kann sie nicht mehr an sich halten und ihre Hände packen meinen Hintern, um mich in eine tiefere Berührung zu ziehen. Ich konnte ihre Anspannung spüren, wenn sie merkte, dass ich mich wieder einem dieser schmutzigen Hauseingänge näherte, und ich war mir sicher, dass sie mein Drängen gerade an solchen Orten noch gieriger aufnahm. Ja, sie nahm mein Tun gierig auf, aber doch vor allem hin, denn weiterhin verschlug sie sich jeder eigenen Initiative. Wenn wir nebeneinander gingen, war ich es, der einen Arm um sie legte, und sie war es, die sich anschmiegte, ohne gleichsam mich zu umarmen. Ich war es, den es in dunkle Ecken zog, sie war es, die die Arme baumeln ließ.
Immer drängender wurde in mir der Wunsch, Lilith aus der Reserve zu locken. Und weil mir das auf diesem Wege offensichtlich nicht gelang, war ich schließlich beinahe so weit, sie in einer dieser dunklen Ecken auf den stinkendnassen Boden zu werfen und mein erhitztes Gemüt gewaltsam an ihr abzukühlen.
Aber ich war ein guter Junge. Außerdem war ja auch noch nicht aller Tage Abend. Die sonnengereiftesten Früchte sind der Lohn der Geduldigen. So dachte ich zu diesem Zeitpunkt der Nacht, und also hatte ich nicht verstanden. Ich hatte die Masken des Begehrens zwar mit offenen Augen und wachem Herzen wahrgenommen, und doch nicht verstanden, was sie verhüllten und damit enthüllten.
Schließlich erreichten wir, gerade rechtzeitig vor dem nächsten Regenguss, die alte Fabrikhalle nahe der Wupper, wo die Party schon in vollem Gange war. Bereitwillig folgte ich Lilith, die mal hier hin, mal dort hin grüßte, tief hinein in die zum Bersten mit Menschen und lauter Musik gefüllte Halle.
Während sie uns etwas zu trinken holte, begann ich zu tanzen. Und wie ich tanzte. Zwar hatte ich mir aufgrund meiner gewissen Fußlahmheit angewöhnt, mich auf der Stelle zu bewegen, aber dafür schüttelte ich meine Glieder um so belebter im Rhythmus der Musik und verlor beinahe meinen Kopf dabei. Das große Lächeln ließ sich auf meinem Gesicht nieder, und ich schloss die Augen. Etwas in mir löste sich aus dem Gefängnis meines Körpers und flog mit der Musik davon, verschmolz mit den entrückten – ja, was? – Seelen anderer, denen es ebenso gegangen war wie mir, unter der hohen, rauchgeschwängerten Decke der Fabrikhalle. Und von dort oben blickten wir lächelnd aus gemeinsamen Augen auf unsere vereinzelt schwitzenden Leiber herab. Wir sahen die Musik sich in regenbogenfarbenen Wellen durch die Luft winden und erblickten Lilith, wie sie sich unter den Küssen eines anderen bog, und noch eines anderen, und da öffnete ich meine Augen, jäh wieder eins mit mir. Doch bevor ich mich beunruhigt nach ihr auf die Suche machen konnte, sah ich unweit von mir Udo inmitten der wogenden Menge, und dieser Anblick lenkte mich ab.
Udo stand da wie ein Fels in der Brandung und war gerade dabei, sich einen gewaltigen Joint anzuzünden. Ich ging
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