Abschied nehmen
Edinburgh. Er verbrachte den Tag in einem gebührlichen Abstand, an dem er überhaupt keinen Schlaf fand, und verlor eine halbe Nacht dabei die Stadt großzügig zu umgehen. Alles andere wäre für ihn undenkbar gewesen, denn dort befand sich zurzeit wahrscheinlich sein größter Feind und er wollte es ihm nicht allzu einfach machen, indem er ihm geradewegs in die Hände lief.
Die letzte große Hürde hinter sich lassend, tauchte er in die schottischen Highlands ein und fand damit seit Tagen endlich wieder etwas, das ihm ein wenig Freude schenkte. Das Gefühl zu Hause zu sein, das er damals bereits gespürt hatte, breitete sich wieder in ihm aus und hellte sein Gemüt, wenn auch nicht für sehr lange, etwas auf.
Seine letzte Nacht verbrachte er etwa einen halben Tagesritt von der Burg Craigh entfernt in einer verlassenen Kate. Er ging in seinem Kopf noch unzählige Male die Karte, die Marcus ihm vor etwa eineinhalb Jahren gezeichnet hatte und die er, nachdem er sie sich eingeprägt hatte, umgehend verbrannt hatte, durch. Es war nicht mehr weit, schwirrte es ihm immer wieder durch den Kopf, bis er irgendwann vollkommen erschöpft einschlief.
Nach ein paar Stunden unruhigen Schlafs erwachte er wieder. Es war bereits dunkel und William suchte die Satteltaschen nach etwas Essbarem durch, in der Hoffnung es übersehen zu haben, doch er hatte kein Glück. Er hatte in der letzten Nacht das letzte bereits hart gewordene Stück Brot mit einem Stück Käse verspeist. Da diese ihn jedoch nicht richtig gesättigt hatten, hatte sein Magen bereits, als er seine Augen geöffnet hatte, lautstark etwas zu essen verlangt. Er versuchte zwar auch jetzt den Hunger zu ignorieren, doch dies klappte genauso wenig wie in den letzten Tagen.
Eines war heute jedoch anders. Er müsste sich nur noch etwa eine halbe Nacht gedulden, dann würde er so viel zu essen bekommen, wie er wollte und dies steigerte zumindest etwas seine Laune.
Er verließ die Kate und schwang sich mühevoll auf Jimmys Rücken.
„Na komm, mein Großer. Bald haben wir es geschafft.“ Er tätschelte Jimmys Hals und rang sich dabei ein müdes Lächeln ab. Dann gab er dem Tier einen leichten Klaps und Jimmy trabte langsam davon.
Da William auch nichts mehr zu Trinken hatte und in dieser Gegend auch kein Schnee lag, den er hätte schmelzen können, hielt er Ausschau nach Wasser. Es dauerte auch nicht sehr lange, bis er in dem Wäldchen, das er durchquerte, einen kleinen Bach fand.
Er stieg ab und musste, um den Boden unter seinen Füßen nicht zu verlieren, bei Jimmy Halt suchen. Sterne tanzten plötzlich vor seinen Augen vor Schwindel und kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Der Moment der Schwäche dauerte nicht lange, hinterließ jedoch trotzdem ein eigenartiges Gefühl bei William. Er fühlte sich wehrlos und unvermögend und dies gefiel ihm ganz und gar nicht. Er schüttelte sich ganz so, als könnte er das Gefühl dadurch abstreifen und ging betont festen Schrittes, als könnte er damit jeden weiteren Schwächeanfall in die Flucht schlagen, in Richtung des Baches. Das fehlte ihm noch, wo er doch so weit gekommen war, hier ohnmächtig zu werden, sich den Kopf aufzuschlagen und womöglich zu erfrieren, dachte er.
Er beugte sich über das Wasser und durchbrach mit seiner Rechten die feine Eisschicht, die den langsam fließenden Bach bedeckte. Dann hielt er seinen Wasserschlauch hinein und füllte diesen so weit, dass er den schrecklichen Durst, der ihn plagte, löschen konnte. Er trank in großen, gierigen Schlücken und das eiskalte Wasser rann seine Kehle hinunter, bis ihn mit einem Mal Jimmys Wiehern innehalten ließ.
Wentworth! war sein erster Gedanke, während er blitzschnell den Wasserschlauch fallen ließ und sich instinktiv duckte. Gleich würde eine rote Uniform in seinem Blickfeld auftauchen, dachte er voller Überzeugung, während sein erschrockener Blick über die Lichtung schweifte. Sein Herz schlug dabei so heftig, dass er meinte, es würde gleich seine Brust sprengen. Warum mussten sie jetzt auf seine Spur kommen, wo er doch seinem Ziel so nah war, fragte er sich mit ohnmächtiger Verzweiflung, hätte Gott ihn nicht noch eine
Weile ...
Sein Gedanke wurde jäh von dem Strick, der plötzlich um seinen Hals geschlungen wurde, unterbrochen. William schnappte nach Luft, und während sein von hinten kommender Angreifer immer fester zudrückte, lief
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